Verführerische Unschuld
sah auf die Uhr und betrat das Krankenzimmer.
Caitlyn brachte es einfach nicht fertig, dabei zuzusehen, wie ihr Vater jede Hoffnung aufgab. Sie wandte sich ernst und gefasst an Grant. “Kannst du mir versprechen, dass diese Ehe nur auf dem Papier existieren wird?”
Grants Blick wurde frostig. “Ich möchte nur deinem Vater die letzten Stunden verschönen. Ich habe dir mein Wort gegeben. Das muss dir reichen. Sei beruhigt, irgendwie werde ich es schon schaffen, meine derben Pfoten von deiner zarten lilienweißen Haut fernzuhalten.”
Es wurde deutlich durch den Hohn in seiner Stimme, dass Grant ihre Unschuld bezweifelte und sie für eine Heuchlerin hielt. Caitlyn sagte sich gereizt, dass ihr völlig egal war, was Grant von ihr dachte. Sie brauchte seine Anerkennung nicht.
“Komm”, sagte er und deutete den schmerzhaften Ausdruck auf ihrem Gesicht als Verachtung. “Wenn wir es deinem Vater zuliebe durchziehen wollen, beeilen wir uns am besten.”
Es war ganz und gar nicht der romantische Antrag, den sie sich so oft in ihren Träumen vorgestellt hatte. Caitlyn nickte nur ernst und folgte ihm ohne ein weiteres Wort.
Die nächsten neunzig Minuten vergingen wie in einem Nebel. Da in Wyoming keine Wartezeit für eine Heiratslizenz nötig ist und auch kein Bluttestergebnis verlangt wird, mussten Caitlyn und Grant nur einige Papiere im Rathaus unterzeichnen. Caitlyn setzte mit zitternder Hand ihren Namen unter das Dokument und sagte sich, wie gut es war, dass ihr keine Zeit blieb, alles noch einmal zu überdenken.
Auf der Fahrt zurück ins Krankenhaus parkte Grant vor einem kleinen Einkaufszentrum. “Ich weiß, es ist sicher nicht, was du dir vorgestellt hattest, aber ich finde, jede Braut sollte ein Brautkleid haben.”
Caitlyns Herz schmolz dahin, als sie ein besonders hinreißendes Modell in einem der Schaufenster sah. Es war ein in seiner Schlichtheit wunderschönes weißes Sommerkleid mit Jäckchen, eckigem Ausschnitt und einem breiten Gürtel, der die Taille betonte.
Der Gedanke, in einem Brautkleid das Krankenzimmer ihres Vaters zu betreten, das ihre Mutter als passend empfunden hätte, wäre Caitlyn unter diesen Umständen ebenso lächerlich vorgekommen wie die Shorts, die sie jetzt trug.
Caitlyn musste zugeben, dass Grant einen guten Geschmack hatte. Das Kleid war perfekt. Es würde nicht nur ihrem Vater gefallen, es befriedigte auch ein wenig die romantische Seite in ihr. Wenn man bedachte, dass Grant zu dieser Komödie von einer Heirat gezwungen wurde, war es wirklich bemerkenswert, wie aufmerksam er war. Schließlich hatte ihr Vater ihm sozusagen die Pistole auf die Brust gesetzt.
“Das ist nicht nötig”, protestierte sie schwach.
“Wenn wir es schon machen, dann richtig.”
Kurz darauf waren sie mit ihren Einkäufen fertig. Das Kleid passte Caitlyn, als ob es für sie gemacht worden wäre. Sie kaufte dazu hochhackige Sandaletten und einen sehr einfachen Schleier. Grant sah umwerfend attraktiv aus in weißem Hemd, Seidenkrawatte, dunkler Hose, Stiefeln und neuem Stetson.
“Man heiratet schließlich nicht jeden Tag”, sagte er zu der Verkäuferin, die ihn mit unverhohlener Bewunderung musterte.
Im Krankenhaus bestand Grant darauf, Caitlyn einen Blumenstrauß im Geschenkeladen im Erdgeschoss zu kaufen. Diese Geste rührte Caitlyn so sehr, dass ihr Herz sich vor Sehnsucht zusammenzog. Welche Frau träumte nicht von einer schönen Hochzeit?
“Danke”, sagte sie leise und hoffte, dass Grant ihre Tränen nicht sah.
Fünf Minuten später betraten sie das Zimmer ihres Vaters.
“Wie ich höre, sind Sie beide in Eile, zu heiraten”, sagte Vater O’Riley und hob vielsagend die Augenbrauen. “Hier und jetzt und im Angesicht Gottes. Ist das die Wahrheit?”
“Ja”, erwiderte Grant.
Vater O’Riley betrachtete beide ernst. “Es ist sehr ungewöhnlich, eine Trauungszeremonie ohne die nötige Vorbereitungszeit zu vollziehen, in der ich die Brautleute besser kennenlerne und feststelle, ob sie wirklich den ernsthaften Wunsch hegen, den Bund fürs Leben zu schließen. Aber Paddy ist ein alter Freund von mir, und er versichert mir, dass es bei Ihnen der Fall ist. Und dass sein kritischer Zustand nur Ihre Bereitschaft verstärkt hat, euch zu vermählen. Ist das wirklich so?”
Caitlyn sah auf die geschlossenen Augen ihres Vaters herab. Er kam ihr so alt und zerbrechlich vor. Da ihre Antwort sehr wohl den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten konnte, zögerte sie nur eine Sekunde, bevor
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