Verfuehrt
Ich kenne nicht mal das Bild, um das es geht, werde es – genau wie Matteo – gleich das erste Mal zu sehen bekommen.
Deshalb klopft mein Herz wild, als Lord Ashbury vor einer Tür stehen bleibt und sie öffnet. Er lässt uns den Vortritt in das Zimmer, einen kleinen Salon mit einer Sitzgruppe vor dem offenen Kamin auf der einen und einem breiten, antiken Schreibtisch auf der anderen.
Es ist ein hübsches Zimmer – wenn man mal davon absieht, dass auch hier die Möbel für meinen Geschmack ein bisschen zu dunkel und zu klotzig sind –, doch eigentlich habe ich nur Augen für das Gemälde, das auf einer Staffelei vor dem Schreibtisch steht.
»Da ist es«, sagt Lord Ashbury unnötigerweise, denn Matteo ist schon zielstrebig darauf zugegangen, und auch ich starre es an.
Es ist anders, als ich es erwartet hatte, denn es zeigt weder die heilige Familie – Enzos Lieblingsmotiv – noch eine andere Heiligenszene. Sondern zwei Männer, die in ein Gespräch vertieft sind. Sie haben sich einander zugewandt und lächeln sich an, reden über etwas, das der eine Mann in der Hand hält, das ich von hier aus jedoch nicht genau erkennen kann. Aber das ist auch gar nicht wichtig. Vielmehr beeindruckt die Art, wie die vertrauensvolle Stimmung zwischen den Männern eingefangen ist: Man kann in ihrem Lächeln lesen, wie zugetan sie einander sind, deshalb bräuchte ich den lateinischen Titel Amici , der kunstvoll auf eine Vignette im antiken Rahmen aufgemalt wurde, gar nicht, um zu wissen, dass hier zwei Freunde dargestellt sind.
Die Farben und die Strichführung sind auf jeden Fall typisch für Enzo, das ist also schon mal stimmig, denke ich, bevor ich meine Aufmerksamkeit mit neuer Hoffnung auf Matteo richte, der das Gemälde immer noch intensiv betrachtet.
»Und?«, fragt Lord Ashbury, der genauso angespannt ist wie ich. »Was denken Sie?«
Bitte lass ihn lächeln, wenn er sich zu uns umdreht, bete ich innerlich. Wenn er lächelt, ist alles in Ordnung. Dann ist das Bild von Enzo, und es wird alles gut. Bitte.
Doch als Matteo uns ansieht, ist sein Gesicht ernst und zwischen seinen Brauen steht diese Falte, die sich dort nur bildet, wenn ihm etwas ganz und gar nicht gefällt. Oder wenn er besorgt ist.
Oh, nein, denke ich und spüre, wie Verzweiflung meine Kehle zuschnürt. Bitte, bitte nicht.
4
»Es ist schwieriger, als ich dachte.« Matteos Augen sind auf mich gerichtet, und der Ausdruck darin ist entschuldigend. Er hasst es, dass er mir nichts anderes sagen kann, denke ich überrascht. Er hat sich das auch anders gewünscht. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass wir jetzt offensichtlich ein Problem haben.
»Heißt das, das Bild ist nicht von Enzo?«, erkundigt sich Lord Ashbury und spricht damit das aus, was ich befürchte. Doch Matteo schüttelt den Kopf.
»Das kann ich nicht auf den ersten Blick beurteilen. Es ist auf jeden Fall in seinem Stil gemalt. Mich wundert nur …«
»Was?«, frage ich drängend.
»Das Motiv. Wenn es, wie in der Signatur ausgewiesen, aus dem Jahr 1515 stammt, dann wäre es in Enzos später Schaffensperiode entstanden, und das könnte passen, da er in dieser Zeit häufiger experimentiert hat. Aber dazu müsste ich erst einige Nachforschungen anstellen. Auf jeden Fall ist es ein sehr interessantes Bild. Wenn es sich um ein Original handelt, dann haben Sie einen exzellenten Kauf getätigt, Lord Ashbury. Das könnte sehr vieles ändern, was wir über Enzo zu wissen glaubten.«
Matteo lächelt den älteren Mann an, der stolz strahlt, weil er das »wenn« offenbar überhört hat. In meinem Kopf hallt es jedoch nach und lässt meine Hand leicht zittern, als ich mir das Haar hinter das Ohr streiche.
»Gibt es Unterlagen zu dem Bild?«, fragt Matteo.
Lord Ashbury nickt. »Ich habe Ihnen alles, was von Interesse sein könnte, dorthin gelegt«, erklärt er und deutet zum Schreibtisch. Matteo, der gar nicht weit davon entfernt steht, geht zu dem kleinen Stapel hinüber und blättert die oberste Mappe durch.
»Das forensische Gutachten, sehr gut«, murmelt er und legt sie wieder beiseite. Dass bereits nachgewiesen ist, dass Leinwand und Farben aus der fraglichen Zeit stammen, hatte ich ihm schon erzählt. Als er die nächsten beiden Mappen durchblättert, stutzt er jedoch und blickt fragend auf. »Mehr Herkunftsnachweise gibt es nicht?«
Mein Mut sinkt noch weiter. Das klingt alles gar nicht gut, und auch Lord Ashburys Miene verdüstert sich.
»Nein. Das ist alles, was man mir an
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