Verfuehrt
gerade empfindest, ist dir unheimlich, oder? Dann willkommen im Club, Sophie! Das geht anderen genauso, wenn sie sich verlieben. Ich musste Alex damals regelrecht zwingen, endlich zu seinen Gefühlen zu stehen.« Sie lächelt bei der Erinnerung, aber nur kurz. »Und es gibt keine Garantien, es kann sein, dass er dir am Ende wehtut – oder du ihm. Aber willst du dich wirklich dein ganzes Leben lang fragen müssen, ob was daraus geworden wäre, wenn du den Mut gehabt hättest, es zu versuchen?« Sie lehnt sich zurück. »Also los, gib dir einen Ruck und fahr zu ihm.«
Ihre Worte treffen mich, legen etwas in mir frei, das ich mir schon seit fast achtundvierzig Stunden vehement verbieten will. Und zum ersten Mal weicht die Angst ein bisschen, die mich seit dem Kuss umklammert gehalten hat. Aber nicht ganz. Und außerdem gibt es da noch ein Problem.
»Ich würde ja hinfahren, aber Nigel holt mich gleich ab. Er will heute Abend mit mir zu einer Vernissage.«
»War ja klar!« Sarah verdreht genervt die Augen.
Sie kennt Nigel, er ist ein guter Bekannter ihres Mannes. Es war sogar ihre Dinnerparty, auf der ich Nigel vor gut einem Jahr wiedergetroffen habe, nachdem Dad und ich ihn lange aus den Augen verloren hatten. Doch sie findet ihn, wie sie mir erst kürzlich gestanden hat, zu langweilig für mich – als Mann jedenfalls. »Aber das ist doch nicht wirklich ein Problem, oder? Das kannst du einfach absagen.« Ihr Blick fällt auf den Umschlag, den sie immer noch in der Hand hält. »Ach, bevor ich’s vergesse – hier«, sagt sie und hält ihn mir hin.
»Was ist das?«
»Der Grund, warum ich gekommen bin. Das ist eine Einladung. Meine Schwägerin Grace ist zur ›Young Business Woman of the Year‹ gewählt worden, stell dir vor!«
»Oh, das freut mich für sie«, sage ich, für einen Moment abgelenkt. Ich mag Grace Huntington, und nach allem, was ich mitbekommen habe, verdient sie diese Auszeichnung definitiv. »Und sie lädt mich auch dazu ein?«
Sarah nickt grinsend. »Sie besteht sogar darauf. Der Preis wird ihr im Rahmen einer offiziellen Feierstunde im ›Savoy‹ überreicht, und sie will, dass du auch kommst. Du darfst natürlich auch gerne eine Begleitung mitbringen.« Sie zwinkert mir zu, und mir ist sofort klar, dass sie damit Matteo meint und nicht Nigel – was mich gegen meinen Willen lächeln lässt. Wirklich, sie kann unfassbar stur sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, und mich mit Matteo zusammenzubringen, scheint dazuzugehören.
Aber sie hat recht, denke ich, als sie wieder weg ist. Ich kann hier nicht mehr länger einfach nur rumsitzen und grübeln, das hat überhaupt keinen Zweck. Weil ich mir etwas vormache, wenn ich glaube, dass dieses ziehende Gefühl in meiner Brust weggeht, wenn ich es ignoriere. Ich muss zu Matteo, und zwar jetzt gleich – auch wenn meine Vernunft dagegen rebelliert.
Bevor ich es mir wieder anders überlegen kann, greife ich zum Telefonhörer und wähle Nigels Handynummer. Nervös trommle ich mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, während ich darauf warte, dass er drangeht, und schicke gleichzeitig ein Stoßgebet zum Himmel, dass ich das, was ich da gerade tue, nicht bereuen werde.
***
Mit klopfendem Herzen stehe ich eine Stunde später wieder vor dem beängstigend großen Portal von Ashbury Hall und hoffe darauf, dass der Butler mir bald öffnet. Es hat nämlich ganz plötzlich sehr heftig angefangen zu regnen, und der Wind ist merklich aufgefrischt – wahrscheinlich die ersten Vorboten des angekündigten Sturms. Die Böen sind teilweise so heftig, dass mein dünner Trenchcoat dagegen keinen Schutz bietet, und wenn ich hier noch lange stehen muss, dann bin ich gleich völlig durchnässt.
»Miss Conroy!«, ruft plötzlich jemand hinter mir, und als ich mich umdrehe, kommt mir Lord Ashbury über den Platz vor dem Haus entgegen, auf dem ich meinen roten Mini neben Matteos edlem Vintage-Cabrio geparkt habe. Er hat den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und seine Tweedmütze tief in die Stirn gezogen, um sich gegen den Regen zu schützen, der offenbar auch ihn überrascht hat. Mit langen Schritten erklimmt er die Eingangsstufen und steht neben mir.
»Was machen Sie denn hier?« Seiner Miene kann ich nicht entnehmen, wie er meinen unangekündigten Besuch findet, aber begeistert ist er nicht. Plötzlich bereue ich es, dass ich nicht vorher angerufen habe – aber dann hätte ich den Mut, überhaupt zu kommen, vielleicht gar nicht aufgebracht.
»Ich
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