Verfuehrt
jetzt wirklich an morgen denken? Reicht es nicht, wenn ich dir jetzt sage, wie sehr ich dich begehre?«
Seine Stimme klingt angespannt. Verwirrt. Bittend. Und mir wird plötzlich klar, dass er mir mehr nicht sagen kann. Es verunsichert ihn, was er für mich empfindet. Er möchte das Ganze vielleicht beenden, aber er kann mir nicht widerstehen. Und das macht mich stark, gibt mir das Vertrauen zurück, dass ich schon verloren hatte.
»Wie sehr begehrst du mich denn?«, frage ich und sehe mit einem atemlosen Lächeln, wie seine Augen dunkler werden.
Abrupt bleibt er stehen, was zur Folge hat, dass wir von dem Paar neben uns angerempelt werden. Die beiden sehen uns irritiert an, aber Matteo achtet gar nicht auf sie, sondern nimmt meine Hand und zieht mich von der Tanzfläche und durch den Raum, bahnt sich mit mir den Weg durch die Leute, die jetzt, wo das Essen beendet ist, teilweise zwischen den Tischen stehen und reden.
In dem Vorraum, in dem sich die Garderobe befindet, bleibt er kurz stehen und sieht sich um. Er wirkt grimmig und sehr entschlossen, zieht mich in den Eingang zu den Toiletten, einen holzvertäfelten Gang, der uns vor den Augen der Dame an der Garderobe verbirgt, und schiebt mich gegen die Wand. Und dann liegen seine Lippen auf meine, und er küsst mich heftig und wild – was vermutlich die Antwort auf meine Frage ist.
Erst nach einem langen Augenblick gibt er mich wieder frei, legt schwer atmend seine Stirn an meine.
»Ich begehre dich so sehr, dass ich dich hier auf der Stelle nehmen möchte, auch wenn wir dann vermutlich Hausverbot bekommen«, sagt er heiser, und ich lächle an seinen Lippen und spüre, wie das Prickeln, das sich in meinem Körper ausbreitet, die letzten Zweifel vertreibt.
Es ist vielleicht zerstörerisch, was Matteo Bertani in mir auslöst. Aber es ist auch stärker als ich. Ich schmecke ihn in meinem Mund, und ich will mehr, stelle mich auf die Zehenspitzen und suche seine Lippen, küsse ihn heiß und lockend.
Ich weiß, dass es absolut ungeheuerlich ist, was ich hier tue – im Eingang der Toiletten des noblen »Savoy« ohne jede Zurückhaltung einen Mann zu küssen, gehört sich nicht.
Aber es ist mir egal, nein, es gefällt mir sogar. Weil es aufregend ist und weil ich mich auf eine ganz neue Art lebendig fühle. Ich will nicht nachdenken, und ich will nicht vernünftig sein, lasse mich überschwemmen von dem Verlangen,
gegen das ich schon den ganzen Abend – oder vielleicht schon, seit ich Matteo vor einer Woche verlassen habe, vergeblich ankämpfe. Hungrig presse ich mich an ihn, als er den Arm hinter meinen Rücken schiebt und mich noch enger an sich zieht, vergrabe meine Hände in seinem Haar. Er löst seine Lippen von meinen und fährt meinen Hals entlang, küsst meine nackten Schultern, die mein Kleid freilässt.
»Ich rufe uns ein Taxi«, flüstert er, als er den Kopf wieder hebt, und ich nicke, auch wenn ich es fast bedaure, dass einer von uns noch halbwegs bei Verstand ist.
Gleich darauf bin ich allerdings froh darum, denn nur einen Augenblick später biegt ein Mann in den Gang zu den Toiletten, dicht gefolgt von einer Frau. Er mustert uns interessiert, sie ein bisschen pikiert, weil man uns vermutlich ansehen kann, dass wir gerade wild geknutscht haben, deshalb nimmt Matteo meine Hand und geht mit mir zurück in den Vorraum.
»Meine Clutch«, sage ich atemlos, als mir wieder einfällt, dass die Tasche noch drinnen im Saal am Tisch liegt. »Und mein Mantel.«
»Ich hole die Tasche und entschuldige uns. Matteo wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern ist schon auf dem Weg zurück in den Saal, während ich mir an der Garderobe meinen leichten Abendmantel geben lasse. Ich ziehe ihn jedoch nicht über, sondern hänge ihn nur über meinen Arm, weil meine Wangen brennen und mir immer noch heiß ist von Matteos Küssen. Unruhig gehe ich hin und her – bis mir jemand auf die Schulter tippt.
Ich nehme an, dass es Matteo ist, und hebe mit einem Lächeln den Kopf.
Doch es ist nicht Matteo.
Es ist Nigel.
10
»Sophie! Dann hast du meine Nachricht also doch bekommen? Ich dachte schon, es wäre zu kurzfristig gewesen!« Seine gerade noch freudige Miene wirkt zerknirscht. »Aber warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du mitkommen willst?«
Ich starre ihn an wie eine Erscheinung und habe nicht den leisesten Schimmer, wovon er spricht.
»Welche Nachricht?«
Irritiert runzelt Nigel die Stirn. »Ich habe gestern auf deine Mailbox gesprochen und dich gefragt,
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