Verfuehrt
widerstehen, und ich ihm nicht, es ist, als hätte wir jetzt, wo wir über die Linie getreten sind und uns angenähert haben, keine Chance mehr, uns gegen den Sog zu wehren, der uns unausweichlich zueinander zieht, uns mitreißt.
Matteo muss das auch spüren. Es kann nicht nur mir so gehen, dass es mir das Herz herausreißt, wenn ich das nicht mehr haben kann. Wenn ich ihn nicht mehr haben kann.
Irgendwann, nach einer kleinen Ewigkeit, löse ich meine Lippen von seinen, doch ich bleibe dicht bei ihm. Wir atmen beide schwer, versinken im Blick des anderen.
»Es wird funktionieren, Matteo«, sage ich heiser. »Ich brauche dich.«
Er schließt die Augen, und als er sie wieder öffnet, hat der Ausdruck darin gewechselt. Fast grob umfasst er meine Oberarme und trennt sich von mir, schiebt mich von sich weg.
»Aber ich brauche dich nicht«, sagt er, und es ist eine Endgültigkeit in seiner Stimme, die mich zerstört. Er schließt den Kofferraum mit einer so heftigen Bewegung, dass ich zusammenzucke, und setzt sich hinter das Steuer, lässt den Motor an. Das Verdeck ist zurückgeklappt, aber er dreht sich nicht noch einmal zu mir um, sondern fährt los, biegt am Ende der Straße um die Kurve und verschwindet aus meinem Blickfeld.
Erst, als er weg ist, merke ich, dass ich vergessen habe zu atmen, fülle meine Lungen wieder mit Luft. Und erst da wird mir klar, dass es nur Zufall war, dass ich ihn noch erwischt habe. Er wäre auch so gefahren, ohne sich von mir zu verabschieden – und die Erkenntnis schockt mich. Verletzt mich noch tiefer, als seine Worte das ohnehin schon getan haben.
Ich habe keine Tränen, weil ich dafür einfach noch viel zu verwirrt bin. Wenn nichts passiert ist, was ist dann auf einmal mit ihm los? Kann er grundsätzlich keine Liebe mehr zulassen, weil ihn der Tod seine Frau zu sehr getroffen hat? Oder schiebt er das vor, um sich auf nichts mehr einlassen zu müssen? Hat er überhaupt je mehr für mich empfunden als für eine seiner sicher zahlreichen Affären?
Mein Körper fühlt sich wie taub an, als ich zu meinem Wagen zurückgehe und einsteige, weil seine Abschiedsworte mir so ins Herz schneiden. Das kann er gut – verletzend sein –, und auch wenn das alles immer noch keine Sinn ergibt, habe ich eins verstanden: Es gibt für uns keine Zukunft. Weil er uns keine geben will.
Aber ich will auch nicht, denke ich und spüre, wie sich jetzt doch ein Kloß in meinem Hals bildet und meine Augen sich mit Tränen füllen. Nicht mehr jedenfalls. Ich habe genug von diesem ständigen Auf und Ab der Gefühle. Matteo Bertani ist einfach zu unberechenbar, ein zu großes Rätsel, das ich nicht lösen kann, und ich werde mich damit abfinden müssen, dass es ohne ihn weitergeht. Es muss gehen, und es wird gehen, ich werde es schaffen, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß wie.
Mir graut davor, meinem Vater sagen zu müssen, dass er recht hatte. Und mir graut vor den endlosen Stunden, die der Tag noch hat. Vor den endlosen Tagen, die vor mir liegen und die mir plötzlich so trostlos vorkommen.
Ich wünschte, ich hätte irgendeine Chance, ihn zu vergessen. Aber das ist aussichtslos, denke ich und drehe den Zündschlüssel, starte den Motor. Den Preis dafür, dass ich bei ihm schwach war und zugelassen habe, dass er sich in mein Herz schleicht, werde ich jetzt zahlen müssen.
14
Die große Standuhr im Esszimmer meiner Eltern schlägt den lauten, tiefen Gong, der verkündet, dass es jetzt Viertel nach eins ist, und schreckt mich aus meinen Gedanken. Überrascht sehe ich auf und begegne dem fragenden Blick meiner Mutter, die mir am Esstisch gegenübersitzt.
»Schmeckt es dir nicht, Schatz?«
»Doch, natürlich. Ich … habe nur keinen Appetit«. Ich versuche ein Lächeln und nehme mir noch einen Löffel von der Hühnersuppe, von der sie mir viel zu viel aufgetan hat. Das schaffe ich niemals. »Ist das ein neues Rezept?«, erkundige ich mich, um die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen.
Lächelnd schüttelt sie den Kopf. »Ich dachte, du würdest die Suppe wiedererkennen. Die hast du sehr gern gegessen, als du klein warst«, erklärt sie mir, und ich runzle die Stirn.
»Wirklich?« Wenn das so war, muss das lange her, denn in meiner Erinnerung gab es bei Mum nie so etwas Gewöhnliches wie Hühnersuppe. Es mussten immer sehr ausgefallene Sachen sein, komplizierte Rezepte, die ihr nicht immer gelangen, die aber die Küche regelmäßig in ein nicht mehr beherrschbares Schlachtfeld verwandelt haben. Oder
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