Verführt im Harem des Scheichs
Erinnerung an die quälenden nächtlichen Träume zurück. Alles hatte sich um George gedreht. Er war da gewesen, aber er hatte sich ihr entzogen. O Gott, wie entsetzlich allein sie sich gefühlt hatte!
Sie versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie er ausgesehen hatte, wenn er lächelte. Es wollte ihr nicht gelingen. Himmel, sie war drei Monate lang täglich mit ihm zusammen gewesen! Tausend Mal musste sie ihn angeschaut haben. Und doch war es jetzt, als sei sein Gesicht hinter einem dichten Nebelschleier verborgen. Sie konnte sich einfach nicht genau an seine Züge erinnern. Ähnlich unscharf waren auch die Erinnerungen an all das, was sie in den Wochen vor und nach der Hochzeit mit ihm erlebt hatte. Wie seltsam!
Ich bin eine Witwe, dachte sie, ohne je wirklich eine Ehefrau gewesen zu sein.
Ein äußerst beunruhigender Gedanke! Sie runzelte die Stirn und versuchte, die Situation in einem anderen Licht zu betrachten.
Ich bin Celia, sagte sie sich, und ich bin weit fort von daheim. Dies war eine andere Welt, ein anderes Dasein. Sie hingegen war noch immer sie selbst, auch wenn weder der Name Armstrong noch der Name Clevenden hier in der Wüste die geringste Bedeutung hatte. Inmitten dieser unendlichen Weite gab es keine gesellschaftlichen Verpflichtungen, keine Erwartungen, die von Familienmitgliedern oder Bekannten an sie herangetragen wurden. Hier konnte sie sein, was zu sein sie wählte. Ich bin frei. Die Vorstellung war berauschend.
Dann wurde ihr klar, dass ihre Freiheit sehr begrenzt war. Ihr Schicksal lag in den Händen eines Fremden.
Ramiz, ausgestreckt auf der Erde jenseits des verglimmenden Feuers, schien noch fest zu schlafen. Aber zweifellos würde er dafür sorgen, dass sie ihre Freiheit nicht genoss. Er hatte ja bereits angekündigt, dass er sie in seinen Harem sperren wollte.
Sie warf ihm einen zornigen Blick zu, kroch unter ihrer Decke hervor, nahm das, was sie anziehen wollte, aus der Reisetasche und schlich sich in Richtung des Wasserfalls davon. Erst als sie sich wusch, fiel ihr ein, dass jemand sie in der Nacht getröstet und beschützt hatte. Ramiz! Oder war auch das nur ein Traum gewesen?
Celia hatte sich Balyrma als kleine befestigte Stadt vorgestellt, die wahrscheinlich am Rande der Berge lag und auf Fremde einen abweisenden Eindruck machte.
Das Bild, das sich ihr bot, als Ramiz ihr seinen Heimatort von der Kuppe einer Sanddüne aus zum ersten Mal zeigte, war ein gänzlich anderes.
Balyrma war groß. Im Zentrum umschlossen Hunderte von im Rechteck gebauten Gebäuden kleine Gärten mit bunten Blumen und Schatten spendenden Bäumen. Die Besitzer dieser Häuser mussten sehr wohlhabend sein. Aber auch die übrigen Bewohner der Stadt schienen keine Not zu leiden. Es gab enge Gassen, ja, aber alles wirkte sehr gepflegt. Nirgends konnte Celia eingestürzte Mauern oder eingesunkene Dächer entdecken. Die Außenbezirke wurden von kleineren Häusern und großen Weiden und Feldern geprägt. Das Grün war nach den Gelb- und Grautönen der Wüste überwältigend.
„Das Gebirge ist nah genug, um uns vor der größten Hitze zu schützen“, erklärte Ramiz. „Außerdem befinden sich dort die Quellen der Flüsse, die das Leben in Balyrma überhaupt erst ermöglichen. Wie Sie sehen, stellen die Berge zudem eine Art natürliche Grenzbefestigung dar, die es unseren Gegnern erschwert, uns zu überraschen.“
„Hat A’Qadiz trotz Ihrer Bemühungen um Frieden viele Feinde?“
„Seit Langem hat niemand mehr versucht, mein Land zu erobern. Trotzdem ist es klug, vorsichtig zu sein. Es gibt Menschen, die uns unseren Reichtum neiden. Und manche von ihnen halten mein Bestreben, den Frieden zu wahren, für Schwäche.“
Celia nickte.
Gleich darauf ritten sie weiter. Der Weg war jetzt deutlich zu erkennen, teilte sich, wurde breiter und belebter.
Während der letzten Stunden hatte Celia nur selten daran gedacht, dass Ramiz ein Fürst war. Jetzt ließ sich der Gedanke an seine Stellung nicht mehr fortschieben. Die Menschen, denen sie begegneten, fielen vor ihrem Herrscher auf die Knie, wünschten den Segen Allahs auf ihn herab und wagten nicht, den Blick zu heben.
Wie schon zuvor fielen Celia wieder die Pharaonen ein. Man hatte sie wie Götter verehrt, was ihnen ganz natürlich erschienen war. Auch Ramiz nahm die Verehrung, die man ihm entgegenbrachte, als etwas hin, das ihm zustand. Für einen Gott allerdings hielt er sich gewiss nicht.
Wie weit muss er sich von seiner Rolle als Herrscher entfernt
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