Verführt: Roman (German Edition)
und stürzte dann wie verrückt los. Sie schaffte es bis zur Schwelle, dann hatte er sie am Kragen und zerrte sie wieder hinein. Den Rest des Tages brütete sie vor sich hin. Apollo hingegen schien völlig ungerührt.
Am nächsten Morgen gönnte sie ihm eine Pause. Als die Nacht anbrach, stand sie auf einem Stuhl hinter der Tür. Als die Tür aufging, warf sie Apollo ihren Unterrock übers arglose Haupt. Während er mit dem Stoff kämpfte, wurstelte sie sich zwischen seinen Beinen durch und zur Tür hinaus.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Apollo sie einholte, also schoss Lucys den nächstbesten Gang hinunter und widerstand der Versuchung, sich über die Schulter nach ihrem Verfolger umzusehen. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, was sie nach geglückter Flucht tun wollte, aber sie war entschlossen, das Beste daraus zu machen. Eventuell gelang es ihr ja, das Pulvermagazin ausfindig zu machen, was im Falle einer Konfrontation der ideale Standort gewesen wäre.
Sie hatte noch nie einen Schiffsbauch gesehen, der so verwirrend war wie dieser. So viele sonderbare Abzweigungen und Kurven gab es nicht einmal in Lord Howells Buchsbaumlabyrinth. Sie erkannte zu spät, dass sie einen Weg gewählt hatte, der sie tief in den Bauch des Schoners führte. Die spärlich leuchtenden Lampen an jeder Biegung waren ihre letzte Rettung. Sie schauderte bei dem Gedanken, in diesem Spinnennetz aus splittrigem Holz gefangen zu sein, in tiefe Dunkelheit gehüllt und mit dem Gestank der Bilge in der Nase.
Sie machte eine Pause, um zu Atem zu kommen und die Hand aufs hämmernde Herz zu pressen. Von einem Verfolger war immer noch nichts zu hören, nur das Schiff knarrte unheimlich, während es sich durch die starke Dünung kämpfte.
Eine einzelne eisenbeschlagene Tür lockte sie auf die andere Seite des Ganges. Sie wusste, dass Flucht unmöglich war, aber vielleicht konnte sie sich irgendwo verbarrikadieren, bis Doom bereit war zu verhandeln. Ihre Fingerspitzen prickelten, als sie den kühlen Türgriff berührte. Als sie gegen ihren Willen Gerards grässliche Warnung erinnerte, was die Mannschaft betraf, zuckte sie zurück.
»Mach dich nicht lächerlich«, schalt sie sich selbst. »Er wollte dir nur Angst machen.«
Sie hoffte beinahe, dass die Tür versperrt war, doch ein halbherziger Stoß reichte aus, sie zu öffnen. Der Raum dahinter war schwarz wie Pech, umso bestürzender war, was das von draußen hereinfallende Licht enthüllte.
Lucy schrie unwillkürlich auf. Die dunkle Kammer war der Traum eines jeden Großinquisitors. Ausgestattet mit einer stattlichen Folterbank, nagelgespickten neunschwänzigen Katzen, drei Paar rostigen Handschellen, die an die Wand gebolzt waren, und einigen anderen ominösen Konstruktionen aus Eisen und Holz. Lucy, frisch an Mr. Defoes Romanen geschult, hatte kein Problem, ihnen finstere Zwecke zuzuschreiben.
Über das ganze grausige Szenario regierte eine Eiserne Jungfrau, deren Gesichtszüge in bösartiger Schönheit erstarrt waren. Lucy hätte schwören können, dass ihre schiefe Tür Stück für Stück aufknarrte, während sie hinsah.
»Missie!« Apollos Stimme dröhnte wie Donnerhall.
Lucy schlug die Tür der Kammer zu. Apollo türmte sich über ihr auf und sah im trüben Licht mehr als nur bedrohlich aus.
Sie legte eine falsche Fröhlichkeit in ihre Stimme. »Was ist denn los, Apollo? Hat der Captain etwa ein paar Skelette im Schrank?«
»Das könnte man so sagen.«
Er seufzte schwer, ging ohne Vorwarnung in die Knie und warf sich Lucy zielgenau über die Schulter. Das offene Haar nahm ihr die Sicht, doch als Apollo sich umdrehte, um sie zurückzubringen, fühlte sie, wie seine Muskeln sich spannten.
Die Begrüßung war von trügerischer Freundlichkeit. »Guten Abend, Apollo.«
»Guten Abend … Captain.«
22
Lucy kniff in klagloser Trübsal die Augen zu. Sie hatte sich ausgemalt, Gerard etwas würdevoller gegenüberzutreten, als kraftlos über Apollos Schulter hängend.
»Wohin des Wegs, Miss Snow?« In seine Stimme war die Schärfe zurückgekehrt.
Lucy war sich durchaus darüber im Klaren, dass Gerard zu ihrem Hinterteil sprach und bemühte sich, nicht zu zappeln. »Nirgendwohin, wie es scheint, Captain.«
Nachdem die Höflichkeiten ausgetauscht waren, machte sich peinliches Schweigen breit, bis Gerard endlich kurz angebunden weitersprach: »Wie oft hat unser Gast schon versucht, uns zu verlassen?«
Lucy spürte Apollos Zögern und Verdruss richtiggehend.
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