Verführt: Roman (German Edition)
mich runter«, verlangte sie, weil sie ihn die Schuld nicht allein tragen lassen wollte. Sie würde die Sache durchstehen, was hatte sie schon zu verlieren?
Apollo gehorchte sofort. Lucy strich sich die Haare aus den Augen und wünschte sich spontan, sie hätte es nicht getan. Das launische Licht der Laternen malte dunkle Flecken in Gerards Gesicht und erinnerte Lucy an ihre verstörenden Träume. Zum ersten Mal fragte sie sich, was für ein Mann das war, der ein Horrorkabinett wie dieses hier eingerichtet hatte.
Dass sie ihn plötzlich fürchtete, machte sie wütend. Sie warf überheblich den Kopf zurück. »Ich denke, das war mein dritter missglückter Versuch freizukommen. Und was haben Sie nun mit mir vor?« Sie hielt ihm die Handgelenke hin. »Mich in Ketten legen?«
Er neigte den Kopf zur Seite, als dächte er über das Angebot nach. »Eine verführerische Idee.«
Verunsichert, wie weit sie gehen konnte, ließ Lucy die Hände wieder sinken.
Gerard machte schmerzlich desinteressiert auf dem Absatz kehrt. »Nimm sie mit«, befahl er Apollo.
Wie ein verurteilter Verbrecher auf dem Weg zum Galgen marschierte Lucy zwischen den beiden Männern. Sie würde sich widerstandslos in ihr Schicksal fügen, aber ganz bestimmt nicht wortlos.
»Vergeben Sie mir, Captain, aber ich hielt es für besser, unsere professionelle Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Sie, Sir, sind ein Pirat. Ich bin eine Gefangene. Und als solche schien es mir eine heilige Pflicht zu sein, gelegentlich die Flucht zu versuchen, und sei es nur, um meinem zuvor erwähnten Status gerecht zu werden und …«
Lucy zuckte zusammen, als direkt hinter ihr eine Tür ins Schloss fiel. Wie es schien, war Apollo draußen geblieben und hatte sie mit ebenjenem starken Mann in der Kapitänskajüte allein gelassen, den sie gerade nach allen Regeln der Kunst in Rage gebracht hatte.
Lucy rechnete mit dem Schlimmsten, als er sich zu ihr umwandte, aber nichts hätte sie auf jene Verwandlung vorbereiten können, die diese eine Woche bewirkt hatte. Seine Haut war dunkler, was das leuchtende Haselnussbraun seiner Augen noch intensiver machte. Sein Haar war heller und lockte sich im Nacken bereits ungestüm. Lucy widerstand dem tückischen Verlangen, ihre Finger hineinzugraben. Der Bartwuchs verdunkelte die Kinnpartie und gab seinen jungenhaften Zügen eine umwerfende Souveränität.
Er wirkte ausgezehrt, als habe er zu viele schlaflose Nächte hinter sich. Lucy fragte sich zum ersten Mal, wo er wohl geschlafen hatte, während sie sein Bett okkupiert und von ihm geträumt hatte. Seltsamerweise verstärkte die Aura des ausschweifenden Lebensstils seinen rauen Charme nur noch.
Ihr Leibwächter war ein gut aussehender Mann gewesen. Dieser Mann hier war unwiderstehlich.
Sie war schon auf sein verändertes Aussehen nicht vorbereitet gewesen; auf das Schmetterlingsflattern in ihrer Magengrube und die gefährliche Sehnsucht in ihrem Herzen war sie mehr als unvorbereitet.
»Ziehen Sie das Kleid aus.«
Die Worte trafen Lucy wie eine kalte Salzwasserdusche. Hinter ihrer resoluten Miene verdorrte der letzte Rest Courage. »Es tut mir Leid«, platzte sie heraus. »Ich versuche bestimmt nicht mehr zu fliehen.«
»Damit haben Sie verdammt Recht. Her mit dem Kleid.«
Ein Meter dreiundachtzig ragten als pure männliche Entschlossenheit über ihr auf. Lucy tat, ohne es zu merken, einen Schritt rückwärts. Ihren Vater so falsch eingeschätzt zu haben, bewies ihr schlechtes Gespür für Menschen. Aber war es möglich, dass sie sich auch in diesem Mann so getäuscht hatte?
»Sie können mir aus meinen Fluchtversuchen keinen Vorwurf machen. Sie hätten an meiner Stelle das Gleiche getan.« Lucy hätte die Worte am liebsten gleich wieder zurückgenommen. Gerard war in einer viel unerträglicheren Lage gewesen. Fünf endlose Jahre lang. »Wenn das Ihrer verdrehten Vorstellung von Disziplin entspricht …«
Er kam bedrohlich näher. »Zwingen Sie mich nicht dazu, Sie auszuziehen, Lucy. Ich weiß ganz genau, dass das da Ihr einziges Kleid ist.«
»Oh, bitte, ich …« Lucy dachte an ihren Schwur, nicht zu betteln, und biss die Zähne zusammen. Durch einen Schleier aus unvergossenen Tränen sah sie verschwommen Gerards Gestalt, während sie um den letzten Rest Würde kämpfte. »Das habe ich nicht verdient.«
Der leise Protest zeitigte keinerlei sichtbare Wirkung. Sie raffte den Rock zusammen und zögerte, weil ihr einfiel, dass sie nicht einmal einen Unterrock trug, der sie
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