Verführt: Roman (German Edition)
anzüglichem Blick ihre Füße. »Sogar die Zehen sind verkrampft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Schüttelfrost sein soll. Sie leiden, wie mir scheint, an einem klassischen Fall von Malaise.«
Lucy richtete sich auf, wand sich aus seinen Armen und begegnete gespielt ungerührt seinem Blick. »Was für ein Unglück, dass dagegen kein Kraut gewachsen ist. Ich fürchte, diese Malaise bringt mich um.«
Einen kurzen Moment glaubte sie, Gewissensbisse in seinen Augen flackern zu sehen. Doch schnell war der Anflug von Reue wieder fort und an seine Stelle jener prüfende Blick getreten, den sie von einem Captain Doom erwartete.
Er packte mit den Fingern ihr Kinn, besitzergreifender, als sein Kuss es je gewesen war. »Sie brauchen keine Angst zu haben, sich eine Erkältung einzufangen, meine Liebe. Da, wo wir hinfahren, sind die Nächte heiß.«
Als er sich erhob und zum Gehen wandte, tauchten wiegende Palmen in Lucys Fantasie auf, muschelbestreute Strände und nackte, vor Schweiß glänzende Körper. Dazu schlug ihr Herz im Rhythmus der Trommeln der Eingeborenen.
Beschämt über ihre verfluchte Schwäche, rief sie ihm nach: »Wenn ich Ihnen mein Wort gebe, dass ich nicht mehr zu fliehen versuche, geben Sie mir dann mein Kleid zurück?«
Gerard blieb kurz an der Tür stehen. »Ich fürchte, Miss Snow, Ihr Wort bedeutet mir nicht mehr als das Ihres Vaters.«
Er machte die Tür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und schob mit einer Sorgfalt, die an Zärtlichkeit grenzte, den Bolzen zurecht.
Lucy stieß einen frustrierten, hilflosen Schrei aus, schleuderte eines der Kissen gegen die Tür und brach, der Verzweiflung nahe, auf dem Bett zusammen. Noch so eine Begegnung dieser Art, und es bestand gar keine Notwendigkeit mehr, sie an irgendwelche weißen Sklavenhändler zu verhökern. Gerard brauchte sie nur hier eingesperrt zu lassen, halb bekleidet und halb wahnsinnig, bis sie irgendwann von selber darum flehte, ihm zu wollüstigen Diensten zu sein.
Von einem Fieber befallen, dass mit Schüttelfrost aber auch gar nichts zu tun hatte, rollte sie sich stöhnend auf der blanken Matratze zusammen.
Lucy erwachte genau so, wie sie jeden Morgen an Bord der Retribution erwachte: zum Gesang Apollos. Und falls sich in seinen majestätischen Bass ein schadenfroher Unterton geschlichen haben sollte, dann hatte er ihn gut versteckt unter dem schwingenden Südseerhythmus seines Liedes.
Lucy konnte seine gute Laune heute Morgen schlicht nicht ertragen und wünschte sich sehnlichst eine Decke, die sie sich über den Kopf hätte ziehen können. Und überhaupt ihr Kopf! Dumpf und schwer fühlte er sich an, als hätte sie einmal mehr im Schlaf die Nacht durchgeweint.
Sie hörte den Schlüssel sich drehen, den Bolzen zur Seite gleiten, die Tür sich öffnen. Apollos Gesang wurde lauter. Lucy entschied, einfach mit zugekniffenen Augen liegen zu bleiben, bis Apollo und sein grässlicher Optimismus wieder verschwunden waren.
Doch ein Krachen, das das ganze Schiff zu erschüttern schien, katapultierte sie aus ihrem Selbstmitleid. Es folgte unheilvolle Stille.
»Apollo?«, flüsterte sie.
Als ihre verzagte Frage unbeantwortet blieb, richtete sie sich kerzengerade auf. Apollo lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Ein Riese, gefällt von nichts anderem als jenem niedlichen Brokatkissen, das sie am Abend zuvor gegen die Tür geschleudert hatte.
Zum ersten Mal, seit sie von den Untaten des Admirals erfahren hatte, dröhnte seine Stimme wieder durch ihren Kopf. Wie oft habe ich diesem dummen Mädchen schon gesagt, dass es ihre Sachen nicht auf dem Boden herumliegen lassen soll? Ist wohl erst zufrieden, dieses Luder, wenn ich mir den Hals gebrochen habe.
»Gütiger Himmel, ich habe ihn umgebracht!«, schrie Lucy und taumelte aus dem Bett. »Das wird mir Gerard niemals vergeben!«
Sie war viel zu aufgeregt, sich zu fragen, weshalb Gerards Vergebung ihr überhaupt wichtig sein sollte, sondern eilte panisch auf Apollos niedergestreckte Gestalt zu.
Mit bebenden Händen suchte sie seine Kehle. Die Haut war warm, und der Puls darunter pochte mit der beruhigenden Gleichmäßigkeit von Meereswellen.
Lucy seufzte erleichtert. Aus ihrer Hockposition konnte sie das schwache Lächeln sehen, das auf Apollos Lippen lag, fast so, als träume er von etwas recht Angenehmem.
»Vielen Dank, lieber Gott«, murmelte sie und rollte die Augen himmelwärts.
Der Herr dankte ihr das Stoßgebet mit dem atemberaubenden Anblick der
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