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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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einladend sperrangelweit offen stehenden Kajütentür.
    Lucy schaute Apollo an. Lucy schaute die Tür an. Nach all den stümperhaften Fluchtversuchen jetzt das! So einfach konnte es doch nicht sein, oder? Ihr Herz jagte. Sie schaute an ihrer vom Schlafen zerknitterten Unterwäsche herunter und stellte bestürzt fest, wie unerhört viel rosige Haut sie bloßlegte. Gerards Warnung, die Mannschaft betreffend, schoss ihr durch den Kopf. Konnte sie es wagen?
    Sie rappelte sich hoch und wusste, dass sie die Chance ergreifen musste. Eines hatte die letzte Nacht ihr klar gemacht: An Bord dieses Schiffes würde ihr kein anderer Mann je so gefährlich werden wie der Kapitän selbst, dem Lucy – all seiner Hinterlist zum Trotz – machtlos ausgeliefert war.
    »Träum schön, Apollo«, flüsterte sie und genoss es aus vollem Herzen, dass es nun endlich an ihr war, die Tür zu schließen, den Schlüssel umzudrehen und den schweren Bolzen vorzuschieben.
     
    Lucy war wild entschlossen, das Debakel vom ersten Mal kein zweites Mal zu erleben, und rannte diesmal in die andere Richtung los. Sie hatte kaum Hoffnung, lange unentdeckt zu bleiben. Aber vielleicht verfolgte ja die Royal Navy den Schoner. Falls es ihr irgendwie gelang, das Schiff außer Gefecht zu setzen oder das untere Kanonendeck zu erreichen, um von dort ein Signal abzufeuern und den Standort der Retribution zu enthüllen, dann kam vielleicht Rettung.
    Falls Gerard sie nicht vorher erschoss.
    Sie wedelte die düsteren Gedanken zur Seite und setzte ihren Erkundungsgang fort, was schier zum Verrücktwerden war. Auf den riesigen, mit vierundsiebzig Kanonen bestückten Schlachtschiffen hatte Lucy sich schon zurechtgefunden, als sie kaum hatte laufen können. Aber dieser bescheidene Schoner hier verwirrte Lucy fast genauso wie der Kapitän dieses Irrgartens.
    Sie stolperte mehr als einmal über die verfluchten Stufen, die zwar in Kontrastfarben gestrichen waren, allerdings genau anders herum als vorgeschrieben. Eine nach oben laufende Rampe führte ins Nichts, während eine viel versprechende Abzweigung sie im Kreis herumführte. Und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie von Angesicht zu Angesicht ihrem eigenen Bildnis gegenüberstand, das sich in einem völlig unsinnig platzierten Spiegel reflektierte.
    Die kostbare Zeit zerrann, und mit jedem Ticken des Zeigers auch die Freiheit. Lucys Courage war schon fast dahin, doch es war zu spät, zur Kapitänskajüte zurückzulaufen und sich um die Beule auf Apollos Stirn zu kümmern. Sie hätte ohnehin nicht mehr zurückgefunden, auch wenn sie sich noch so bemüht hätte.
    Sie sank gegen ein blindes Bullauge und war kurz davor, sich mitten auf den Gang zu setzen und zu warten, bis Gerard sie fand. Er hatte ihr Vertrauen missbraucht, ihr das Herz gebrochen und sie fast völlig entkleidet. Was konnte er ihr noch antun?
    Jede Menge.
    Die ungeschminkte Wahrheit brachte Lucy wieder auf die Beine. Die Männer der Retribution schienen wie geisterhafte Fratzen aus den Schatten aufzutauchen, und mit jedem unsicheren Schritt wurden die Gesichter noch grässlicher. Ihrem exzellenten Gedächtnis war es zu verdanken, dass ihr glasklar Mr. Defoes ganzer Katalog an Grausamkeiten einfiel, welche Piraten genüsslich ihren allzu rebellischen Gefangenen antaten: an der Winde hochziehen und mit Glasflaschen bewerfen; ihnen so lange Rum die Kehle hinunterzwingen, bis sie betrunken über Bord gingen und ertranken; ihnen den Mund mit leicht entzündlichem Hanfgewebe voll stopfen und anzünden.
    Wobei es sich lediglich um jene Grausamkeiten handelte, die sie gegen ihre Geschlechtsgenossen zu verüben pflegten.
    Sie schluchzte auf, als sie schon wieder ihrem angstbleichen Ebenbild gegenüberstand. Sie schlug mit der Faust aufs höhnische Glas des Spiegels ein.
    Und tat einen entsetzten Sprung rückwärts, als der Spiegel zur Seite glitt und eine Leiter freigab, die direkt dahinter an einem Bullauge vorbei nach oben führte.
    Lucy konnte ihr Glück kaum fassen und blinzelte nach oben ins Dunkel. Es gab sich doch sicherlich keiner die Mühe, eine Leiter, die ins Nichts führte, mit solch einem Aufwand zu verstecken.
    Lucy kletterte mit frischem Mut die Stufen hinauf und legte, oben angekommen, die Hände gegen die Plankendecke. Mit hurtigen Fingerspitzen ertastete sie eine Kante, die fürs bloße Auge nicht zu sehen war. Sie verbiss sich das Triumphgeheul und hatte zum ersten Mal das Gefühl, sich – wenn schon nicht den wehenden Mantel – so doch

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