Verführt: Roman (German Edition)
Schritt auf sie zu und schüttelte schon verneinend den Kopf.
Sie zog den Abzug der Pistole ein kleines Stück zurück.
»Captain …?«, flüsterte Apollos Bass warnend.
Aus Lucys Augen ergoss sich ein Sturzbach von Tränen die Wangen hinunter. Diese Männer würden tun, was sie von ihnen verlangte! Sie waren nichts als ein herzloser Haufen von Schurken. Genau wie ihr Vater. Genau wie die drei Kerle, die sie in jener dunklen, nasskalten Londoner Gasse hatten berauben und vergewaltigen wollen. Genau wie die Männer, die ihnen den Auftrag dazu erteilt hatten.
All die Schmerzen, die Gerard ihr verursacht hatte, brachen über ihr wehes Herz herein, und Lucy war dicht davor, Gerard Claremont zu hassen wie nie zuvor.
Er wagte einen weiteren Schritt vorwärts. »Ich weiß, was Sie jetzt denken, Lucy. Aber diese Männer kamen nicht von mir. Ich schwöre es.«
»Warum sollte ich Ihnen glauben? Es ist längst schon bewiesen, dass Sie alles getan hätten, um Ihre Anstellung zu behalten.« Sogar Gefühle vorspiegeln, die er gar nicht wirklich hegte.
Er hob bittend die Hände und gab dabei ein völlig ungedecktes Ziel für sie ab. »Ich habe keine Beweise für meine Behauptung, ich kann Ihnen nur mein Wort geben. Sie müssen mir vertrauen.«
Die Forderung erschien Lucy so absurd, dass sie schluchzend zu lachen anfing. Sie drückte ihm die Mündung der Pistole aufs Herz und wusste doch, dass sie es heute noch weniger als damals vermochte, ihm wehzutun. Damals, genau hier, auf diesem Deck, in jener stürmischen, mondhellen Nacht, die ihr Leben für immer verändert hatte.
Sie zielte ruckartig mit der Pistole nach oben und feuerte in die Luft. Gerard zuckte nicht einmal zusammen.
Ihr Arm sank kraftlos herunter. Die Pistole schepperte aufs Deck, von Lucys Rebellion war nichts mehr übrig als der Widerhall des Schusses, der Geruch des Schießpulvers und ein schmaler Streifen azurblauen Himmels, der durch die düstere Eleganz des oberen Topsegels lugte.
Lucy sank auf einer Taurolle zusammen, das tränenverschmierte Gesicht ein Bild von Niedergeschlagenheit. Gerard konnte sich seines Sieges kaum erfreuen. Er legte ihr sein Jackett über die Schultern und schützte sie vor den neugierigen, aber auch anerkennenden Blicken seiner Mannschaft. Eine Meuterei wie die, die Lucy gerade angezettelt hatte, hätte jedem Seemann die Peitsche eingebracht -, falls man ihn nicht gleich auf einem verlassenen Eiland ausgesetzt hätte, mit nichts anderem als einer Pistole ausgerüstet, damit er sich wenigstens erschießen konnte, bevor er am Durst krepierte.
Gerard ließ weise eine ganze Salve an Befehlen los, die seine Mannschaft in alle Himmelsrichtungen jagte. Nicht jeder an Bord war so abergläubisch, was Frauen anging, wie Tam und Pudge es waren. Tam schnappte sich seine Pistole und trollte sich mit den anderen, aber Pudge zögerte in einer ganz atypischen Anwandlung von Heldenmut.
Er wischte sich mit einem scharlachroten Taschentuch den Schweiß von der Stirn, dann streckte er Lucy verlegen die Hand hin. »E-es tu-tut mir Leid, Miss. I-ich hätt’ Sie nicht solche Sachen heißen sollen. Das war nich’ sehr höflich von mir.«
Lucy schüttelte die Benommenheit ab und blickte in ein Paar vertrauter Augengläser auf. Wieder durchzuckte ein stechender Schmerz ihr Herz, aber die braunen Augen hinter den geschliffenen Gläsern schauten sie mit einer solchen Ernsthaftigkeit an, dass sie nicht anders konnte, als ihm freundlich die Hand zu drücken. »Es ist alles vergeben, Sir. Ich hätte Sie nicht so erschrecken dürfen.«
»Kümmere dich um das Segel, Pudge.« Gerard versetzte ihm einen freundschaftlichen Schubs in Richtung des Flaschenzugs.
»Aye, Sir.« Er salutierte ergeben vor seinem Kapitän und humpelte davon, um seine Arbeit zu machen.
»Pudge ist wirklich ängstlich, was Frauen angeht«, erklärte Gerard leise. »Seine Frau hat ihn regelmäßig verprügelt. Nachdem sie ihm mit einem Schürhaken im Schlaf das Knie zertrümmert hat, ist er davongelaufen und hat angeheuert.«
Lucy wollte nichts von alledem wissen, nichts verstehen. Sie flüchtete mit Gerards Jackett um die Schultern zur Reling. Das Sonnenlicht blitzte über die vereinzelten weißen Schaumkronen. Eine sanfte Brise zauste ihr Haar, was verwirrend war, wenn man bitterkalte Winterstürme erwartet hatte. Zum ersten Mal seit Tagen schmeckte sie wieder den Geschmack der Freiheit, doch ihr Herz fühlte sich an, als läge es in eisernen Ketten.
Gerard stellte sich neben
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