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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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diesem schwimmenden Zirkus hier immer noch ein plattes Floß.«
    Tams grüne Augen strahlten vor Bewunderung. »Und genau da irren Sie sich, Miss Lucy. Der Captain ist der Beste von allen. In jungen Jahren hat er Marinestrategie studiert. Es ist fast schon so, als wüsste er, was die denken, bevor sie es noch selber wissen.«
    Die Überlegung, was Gerard wohl erreicht hätte, hätte Vater ihn nicht seiner Karriere beraubt – und seiner Freiheit -, brachte Lucy fast um den Verstand.
    Unter dem azurblauen Himmel, der sich allmorgendlich von Horizont zu Horizont über ihr spannte, war es Lucy ganz unmöglich, an etwas anderes als Freiheit zu denken. Unmöglich, nicht an Freiheit zu denken, wenn sie, den Wind im Haar, an der Bugreling lehnte, die Sonne ihr den Rücken wärmte und die kühle, salzige Gischt ihr die Wangen rötete. Wie war es nur möglich, dass sie sich als hilflose Gefangene Gerards so frei fühlte wie nie?
    Frei genug, den ganzen Morgen über an Deck zu lesen oder einfach nur in der Sonne zu dösen. Frei genug, den Männern bei der Arbeit zuzusehen oder Apollo ein paar Geschichten aus seiner afrikanischen Heimat herauszuleiern.
    Das ungezwungene Leben an Bord der Retribution war unwiderstehlich. Bis auf den Glockenschlag, der zum Wachwechsel rief, schien Zeit nicht mehr zu existieren. Ganz anders als im Falle jener Arbeitsameisen, die unter dem Kommando des Admirals schufteten, unterlag Gerards Mannschaft keiner Reglementierung, sondern war allein von dem gemeinsamen Wunsch geleitet, den schlanken Schoner so effektiv wie möglich zu segeln.
    Die Männer lachten und sangen, wann immer ihnen danach war. Sie legten beim Trimmen der Segel eine Pause ein, um einen Schluck Rum zu nehmen oder ein Tänzchen zu wagen. Sie konnten ungeniert ihre Meinung sagen oder Witze reißen, ließen sich aber auch zu einem fairen Faustkampf hinreißen, wenn es unvermeidlich war. Aber keiner vergaß je, dass, wer eine Waffe zog, die traditionellen vierzig Schläge bekam.
    Was Lucy jedoch am meisten faszinierte war die Art, mit der die Männer sie behandelten. Ein ganzer Salon voller untadeliger Londoner Gentlemen hätte nicht hochachtungsvoller mit ihr umgehen können. Manche, wie Pudge zum Beispiel, waren eher schüchtern. Andere waren so kühn wie Tam und warben um ihre Gunst. Sogar der mörderische Fidget mit seinem ausgeprägten Zucken im Gesicht beugte das struppige Haupt und verehrte ihr einen Handkuss, als er Lucy eines sonnigen Nachmittags vorgestellt wurde.
    »Du meine Güte«, flüsterte sie Tam zu, als der freundliche kleine Schwiegermuttermörder von dannen marschierte, um eine Rolle Segelgarn zu wachsen. »Sie müssen gehört haben, welchen Ruf mein Vater genießt. Sollte mir hier etwas zustoßen, dann wären die Konsequenzen fürchterlich.«
    Tam schnaubte. »Nicht fürchterlicher, als die Nase aufgeschlitzt zu bekommen. Das jedenfalls hat der Captain uns angedroht, falls einer seiner Frau zu nahe kommt.«
    Des Captains Frau . Lucys Haut prickelte heimtückisch. »Ich bin aber nicht …« Sie zögerte. Vielleicht war es ja klug, das Märchen aufrechtzuerhalten. Was, wenn Gerard es nur ersonnen hatte, um seine Männer in Schach zu halten?
    Aber warum hätte die Mannschaft einer solch hanebüchenen Behauptung Glauben schenken sollen? Der Captain ging Lucy so gut wie möglich aus dem Weg, was an Deck eines Dreimastschoners keine leichte Aufgabe war.
    Auf Iona hatte Lucy die Vorhänge vor Gerards neugierigen Augen zugezogen. Hier ergab sie sich dem kindischen, aber viel befriedigenderen Drang, ihm die Zunge herauszustrecken, wenn er sie durchs Fernglas beobachtete, oder eine unverschämte Geste auszuprobieren, die Digby, einer der grauhaarigen Kanoniere, ihr beigebracht hatte. Sie war sich nicht ganz darüber im Klaren, was das Handzeichen mit dem emporgereckten Mittelfinger zu bedeuten hatte, aber Gerard wusste vermutlich Bescheid.
    Sie hatte Recht.
    »Und ob ich das möchte«, murmelte er mit wehmütigem Lächeln und ließ das Fernglas sinken. Eigentlich brauchte er das Glas gar nicht. Jede Einzelheit ihrer Erscheinung war mit gnadenloser Klarheit in sein Gedächtnis geritzt.
    Er hätte es nicht für möglich gehalten, doch die Sonne hatte ihr Haar noch eine ätherische Farbstufe weiter ausgebleicht. Ihr heller Teint schimmerte nun aprikosenfarben, und ihre Miene hatte das Verkniffene verloren, das ihr auf Iona so angehaftet hatte. Er wusste nicht, was ihr mehr geholfen hatte – die frische, salzige Luft oder dass

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