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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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flüsterte Lucy, wollte aber nichts versprechen.
    Er eskortierte sie zur Kapitänskajüte, dann wandte er sich zum Gehen.
    »Apollo?«
    »Ja, Missie?«
    »Haben Sie nicht etwas vergessen?«
    Er legte die Stirn in Falten, als denke er scharf nach, dann grinste er breit. »Ihr Mittagessen, Missie! Ich bringe es Ihnen sofort.«
    Lucy staunte, aber sie war tatsächlich ausgehungert. Sie hätte nie gedacht, dass Meuterei so appetitanregend war. »Nicht das Mittagessen. Die Tür. Sie haben vergessen, die Tür abzuschließen.«
    Er marschierte unbeirrt los und rief ihr über die Schulter noch zu: »Nicht nötig. Sie dürfen sich frei auf dem ganzen Schiff bewegen, sagt der Captain.«
    Lucy sank gegen den Türstock. Die Knie bebten ihr von einem lang unterdrückten Hunger, der mit Essen nichts zu tun hatte. Apollo mochte sich dessen nicht bewusst sein, aber der Captain hatte ihr etwas viel Kostbareres geschenkt als Bewegungsfreiheit.
     
    Gerards Hemden und Hosen waren nichts für Lucy, aber mit ein paar kunstvollen Säumen und Abnähern passten ihr Tams abgelegte Sachen, als seien sie für sie gemacht. Die Männer gewöhnten sich schnell daran, auf den Decks der Retribution Lucys schlanker, jungenhafter Gestalt zu begegnen.
    Nachdem Tam erst einmal die Angst abgelegt hatte, Lucy könne den Sonnenschirm hervorziehen und ihm eins auf die sommersprossige Nase geben, wurde er ein liebenswerter Kamerad, der sie mit der Souveränität des älteren Vetters übers ganze Schiff begleitete. Lucy hegte den Verdacht, dass er kaum je die Gelegenheit bekam, jemand Unwissenderen, als sie es war, mit seinem Wissen zu überhäufen.
    Das Schiff selbst machte den Eindruck, als sei es von einem wahnsinnigen Genie mit einem perversen Sinn für Humor entworfen worden. Decks und Frachtraum waren von einem Labyrinth aus Geheimgängen durchzogen. Lucy lebte in der ständigen Furcht, durch die nächstbeste versteckte Falltür zu stürzen, weil irgendeine unschuldige Aktion den Mechanismus ausgelöst hatte, den Kreuzmast mit dem Ärmel streifen etwa oder durch eine der Kanonenluken spähen.
    Der schweigsame Captain mochte ihr ein Rätsel bleiben, doch das Schiff gab seine Geheimnisse um einiges bereitwilliger preis.
    Ein Piratenschiff konnte sein Heil nur darin suchen, schneller zu sein als der Gegner, wendiger und hinterhältiger. Die Retribution brillierte in allen drei Disziplinen. Jedes bisschen sichtbares Holz auf dem Schiff war dunkel gestrichen. Gerard hatte die traditionelle Baumwollbesegelung gegen gedoppelte schwarze Seide ausgetauscht, eine extravagante, aber höchst effiziente Methode, das Schiff auf seinem Weg durchs indigoblaue Wasser des Nachts verschwinden zu lassen. Der überdimensionierte Nachbau eines Kombüsenkochers am Heck des Schiffs war derart umgerüstet worden, dass er riesige Dampfwolken produzierte, die jeden Verfolger verwirrten.
    Ein falsches zweites Deck sorgte für den menschenleeren Eindruck, den die Retribution nachts machte, genau wie in jener Nacht, als Lucy sie zum ersten Mal gesehen hatte. Im Falle eines Angriffs ließ sich die Konstruktion über Vorderdeck, Quarterdeck und Heck ausrollen, wobei die Mannschaft das Schiff von unten manövrierte, und zwar mit Hilfe einer ausgefeilten Kombination aus Flaschenzügen, Spiegeln und Fernrohren. Das windschnittige falsche Deck erhöhte zudem Geschwindigkeit und Wendigkeit unter Segeln.
    Die cleveren Umbauten gestatteten es Gerard, das Schiff mit nur neunzig Mann zu segeln, was der Hälfte der üblichen Mannschaftsstärke entsprach. Pudge war nicht nur Segelmacher, sondern auch Segelmeister. Apollo rackerte sich als Steuermann ab und führte mit makelloser, eleganter Schrift die Logbücher. Einzig der Navigator hatte keine andere Aufgabe als die, das Schiff auf jedwedem mysteriösen Kurs zu halten, den Gerard für die Retribution kartierte.
    Tam beeilte sich, Lucy zu erklären, dass der Schoner zwar für überfallartige Attacken und schnellen Rückzug konzipiert war, seine schlagkräftigste Waffe aber der sagenhafte Ruf seines Kapitäns war. Allein ein geflüstertes »Captain Doom« reiche schon aus, ein schlecht bewaffnetes Handelsschiff mit einem schwerfälligen Bauch voller Ladung zur kampflosen Kapitulation zu bewegen.
    Ein Rest von Stolz auf die Royal Navy zwang Lucy zu einer förmlich klingenden Erwiderung: »Das bedeutet noch lange nicht, dass der Schoner es mit einem der Kriegsschiffe Seiner Majestät aufnehmen könnte. Eine gut platzierte Breitseite macht aus

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