Verführt: Roman (German Edition)
es war nur der gespenstisch heulende Wind zu hören und Dooms Stiefel, wie sie über Deck stampften.
»Ihre Mannschaft?«, wagte sie gegen den Wind anzuschreien. »Wo ist sie? Ich höre gar nichts!«
»Ich fürchte, Sie haben uns mit einer Rumpftruppe erwischt.«
»Gar nicht so unpassend für einen Geisterkapitän.«
Dooms sicherer Schritt stoppte, und Lucy knallte in seinen Rücken. Er packte sie an beiden Handgelenken und zog sie unter eine Art Schutzdach, wo der Wind lediglich pfiff, nicht röhrte. Zu ihrer Verblüffung hörte Lucy ihn lachen.
Seine Hand legte sich zärtlicher, als Lucy es überhaupt für möglich gehalten hätte, an ihre Wange. »Ach, Lucy. Ich werde Sie vermissen, wenn Sie fort sind.«
Ein gedämpfter Ruf kam übers Wasser. Doom erstarrte, dann drückte er sie in die Hocke hinunter.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, befahl er. »Kein Laut, keine Bewegung! Nicht einen einzigen Schritt. Nicht ein einziges Flüstern.« Dann war er fort und ließ sie zitternd an die feuchten Planken gekauert allein.
Er war ganz offensichtlich ein Mann, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte. So groß war seine Autorität, dass Lucy ein paar Minuten lang hocken blieb. Ihr raste das Herz, und ihr schwirrte der Kopf, so abrupt hatten Zärtlichkeit und Drohungen sich abgewechselt. Dann dämmerte ihr, was er gesagt hatte.
Ich werde Sie vermissen, wenn Sie fort sind.
Die Stimme des Verstandes, die verdächtig wie die des Admirals klang, flüsterte ihr zu: Du wurdest von einem ruchlosen Piraten entführt, Lucy! Was denkst du, wo wird er dich hinbringen?
Cornwall? Chelsea? Oder in den Himmel?
Was für einen Unterschied machte es, dass er so gut roch und so wohltönend lachte? Der Mann würde sie umbringen. Und sie hockte da, untätig und blind wie ein törichtes Mäuschen, das geduldig darauf wartete, dass der Kater zurückkam.
Sie erstarrte fast vor Ärger über ihre eigene Dummheit, griff hinauf und zog die Binde fort. Die Seeluft brannte ihr in den Augen. Einen Moment lang sah sie durch einen Schleier aus Tränen wieder nur Dunkelheit. Sie zwinkerte die Tränen fort und fand sich im Schatten einer Spiere.
Steuerbord, ein kurzes Stück entfernt, stand ein Mann an der Reling und drehte ihr seinen breiten Rücken zu. Er trug ein schwarzes Hemd, die schmalen Flanken in schwarzen Breeches, die in kniehohen, polierten Schaftstiefeln steckten. Sein Anblick ließ ihr Herz so heftig schlagen, dass sie schon fürchtete, er könne es hören.
Ein einsames Segel verbarg ihn, während er die Argonaut beobachtete, die sich anschickte, längsseits zu kommen, um in Augenschein zu nehmen, was wie ein verlassenes Schiff erscheinen musste. Die mächtigen Kanonen des Flaggschiffs ließen den anmutigen Schoner wie einen Zwerg erscheinen, aber die Retribution hielt Kurs. Doom schien nicht die geringste Angst zu haben, seine Geduld erschien Lucy gefährlicher, als Taten es gewesen wären.
Sie wusste, was sie zu tun hatte, um ihr Leben zu retten. Sie fuhr mit den Fingern in den Strumpf, holte den Brieföffner hervor und umklammerte fest den Elfenbeingriff, auf dass er ihrer feuchten Hand nicht entglitt.
Er ist ein Mörder, sagte sie sich. Ein Dieb. Ein gnadenloser Kehlenaufschlitzer. Er war drauf und dran gewesen, sie zu vergewaltigen, als das andere Schiff aufgekreuzt war. Drauf und dran, ihr zu beweisen, dass sie die gleiche, schwache, wollüstige Kreatur war wie ihre französische Mutter. Doom wandte sich ab. Ein Strahl Mondlicht schnitt durch die rasenden Wolken.
Lucy biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie auch nur ein Stückchen von seinem Gesicht zu sehen bekam, war sie verloren. Doch der wankelmütige Mond war ihr Verbündeter – und Dooms Untergang. Der Mond versank hinter einer Wolke und ließ es düster werden, bis Doom nur noch ein bärtiger Schatten war, der ahnungslos in ihre Falle tappte.
Vorsichtig pirschte Lucy vor, packte mit beiden Händen den Brieföffner und zielte in Richtung seines Herzens.
Und schaffte es nicht. In dem winzigen Moment der Stille, der einen seiner ahnungslosen Atemzüge vom nächsten trennte, lenkte sie die Klinge in Richtung seiner Schulter ab.
Doom holte mit zusammengebissenen Zähnen Luft. Die Hände leer, wagte es Lucy, ihn anzusehen und erblickte nur stählern leuchtende Augen, die sie ungläubig anstarrten.
»Hinterhältige kleine Hexe. Sticht einfach auf mich ein!«
Er zog sich die Waffe aus dem Fleisch, packte sie mit der anderen Hand an der Kehle, presste sie an den Masten
Weitere Kostenlose Bücher