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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Gesicht, breite Wangenknochen, prägnante Augenbrauen. Ein Gesicht, das jungenhaft zu nennen gewesen wäre, hätten es nicht Zeit und Lebenserfahrung geschliffen. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass es genau diese Spuren waren, die sie reizten. Der unwiderstehliche Humor seiner braunen Augen. Der amüsierte Zug um den Mund. Ständig schien es, als wolle er jeden Moment lächeln, als habe er einen wundervollen Witz gehört, der dem Rest der Welt entgangen war.
    Als er einen Becher mit Wasser an die ausdrucksstarken Lippen setzte, entschied Lucy großmütig, dass manche ihn wohl als gut aussehend bezeichnen würden.
    »Fort mit dir, elender Schurke! Sonst spieß ich deinen Kopf auf die Rah, oder ich will nicht Captain Doom heißen!«
    Claremont verschluckte sich, verschüttete das Wasser und durchnässte sowohl Gilligan als auch die Spaniels. Zwei kleine Buben jagten durch ihre nahe gelegene Festung aus aufgeschüttetem Laub und bekämpften einander mit Ästen, die Entermesser vorstellen sollten.
    »Verzeihung«, murmelte Claremont und tupfte den kahlen Kopf des Babys mit einem Taschentuch trocken. »Sie haben mich erschreckt.«
    Sylvie winkte ab. »Sie spielen nur ›Captain Doom‹. Seit Lucys aufregenden Abenteuern ist das ihr Lieblingsspiel.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Oh, Liebe! Ich hab ganz vergessen, dass es geheim bleiben sollte. Es war nämlich so, der Admiral hat es Papa anvertraut, und der hat es Mama anvertraut, und die hat es mir anvertraut, und ich – oh, was bin ich nur für ein Dummerchen!«
    Lucy war geneigt zuzustimmen. »Mr. Claremont ist zum Glück kein Spion von der Times . Er weiß von dem Vorfall. Vater hat ihn ja deswegen engagiert.«
    Sylvies Augen strahlten bewundernd. »Wer hätte gedacht, dass Lucy so tapfer ist? Sie ist noch viel unerschrockener gewesen als diese doofen Memmen in Mrs. Edgeworths Castle Rackrent !« Sie zupfte Gilligan eine Heuschrecke aus den Fingern, bevor er sie essen konnte und warf Lucy einen verschlagenen Blick zu. »Ich habe den Verdacht, unsere Lucy war ziemlich angetan von diesem Kerl. Sie wird jedenfalls immer so hübsch rot, wenn sein Name fällt.«
    »Werd ich nicht!«, protestierte Lucy und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Sie war sich bewusst, dass Claremont sie ansah, und neigte den Kopf in der Hoffnung, dass ihr Haar den Streich verbergen würde, den die helle Haut ihr spielte.
    Eine gänzlich reulose Sylvie marschierte davon, um das Baby schlafen zu legen, eine Kopie von Papas Memoiren zu holen – und Lucy der Gesellschaft ihres Leibwächters zu überlassen.
    Lucys Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Claremont zog eine Zigarre aus der Tasche und klemmte sie zwischen Lippen, die nicht die Spur eines Lächelns hatten. Seine Augen zogen sich hinter den Gläsern zu Schlitzen zusammen, während er Sylvies Brüdern beim Piratspielen zuschaute. Die Sonne hatte ihre Wärme verloren, und um die Decke herum schien die Temperatur um einige Grade gefallen zu sein.
    Lucy hatte das Gefühl, ihn schon wieder verärgert zu haben. Lass ihn rauchen, sagte sie sich und verfiel in eisernes Schweigen. Sie würde ihm keine Genugtuung verschaffen. Neunzehn Jahre lebte sie jetzt mit dem Admiral zusammen. Keiner war im Ertragen strafender Gleichgültigkeit so versiert wie Lucy.
    Ohne um Erlaubnis zu fragen, wie es üblich gewesen wäre, zündete er die schlanke Zigarre an, inhalierte tief und blies einen makellosen Ring aus Rauch.
    Es ist etwas Liederliches an einem Mann, der unverhohlen sinnlichen, gottlosen Genüssen frönt, dachte Lucy. Vielleicht brachte er sie deshalb so aus der Fassung. Er tat alles, was er tat, als wäre es das erste und gleichzeitig das letzte Mal. Sie hüstelte zart in die Hand.
    Wie eine wehende Piratenflagge tauchte ein Taschentuch vor ihrer Nase auf.
    Lucy starrte erbost das provozierend makellose Stück Stoff an. Ein fremdes Gefühl regte sich exotisch und gefährlich in ihrer Brust. Süßer, heißer Zorn spülte mit ungewohntem Feuer die tatenlose Melancholie fort.
    Jahrelang hatte sie ihrem Vater gestattet, sie zurückzuweisen, sie mit derselben gleichgültigen Missachtung zu strafen, mit der er auch seine Untergebenen behandelte. Weil sie seinen Zorn so sehr fürchtete, wie sie seine Liebe herbeisehnte, hatte sie gelernt, sich so unsichtbar zu machen, dass sie manchmal schon fürchtete, ganz zu verschwinden.
    Mr. Claremonts höhnische Gleichgültigkeit hatte den umgekehrten Effekt. Sie spornte ihre Lebensgeister

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