Verführt: Roman (German Edition)
die er für seine spitzzüngige Maus aufgestellt hatte.
Als Gerard Lucy nachlaufen wollte, räusperte sich der Admiral, als kaue er an mehr als nur trockenem Toast – an seinem Stolz, wie sich zeigen sollte. »Ich habe Ihnen zu danken, junger Mann. Sie haben mir das Leben gerettet.«
Gerard bedachte ihn mit einer knappen Verbeugung und einem rätselhaften Lächeln. »Ich habe nur meine Arbeit gemacht, Sir. Nur meine Arbeit.«
Ein wenig später, als die Kutsche auf die Oxford Street zuratterte, fragte sich Gerard, ob Miss Snow wohl irgendwelche Kleider besaß, die nicht weiß waren. Der keusche Ton fing an, seine Geduld ebenso zu strapazieren wie seine Augen.
Gegen seinen Willen verweilte sein Blick auf den cremeweißen Schultern und den elegant gebogenen Schlüsselbeinen, die der schmucklose Halsausschnitt des Kleids im griechischen Stil freigab. Er gab es nur ungern zu, aber die Abwesenheit jeglicher Farbe passte so gut zu ihr wie ihr Name. Ihre Haut war wie frischer Schnee – weich, jungfräulich, verlockend. Zu dumm, dass sie auch noch das passende eisige Temperament hatte.
Seine Überlegungen erschreckten ihn. Er drehte sich zum Heckfenster um und nahm ermutigt den einsamen Reiter zur Kenntnis, der der Kutsche folgte, allerdings weit genug entfernt, als dass er den Verdacht des Dieners erregt hätte. Wenn der heutige Nachmittag vorüber war, würde Lucy ihren Vater vermutlich bitten, Claremonts Lohn zu erhöhen.
Die Kutsche hielt vor einer glänzenden Schaufensterphalanx, hinter der sich den feinen Herrschaften, die über die mit Steinplatten gepflasterten Bürgersteige flanierten, eine atemberaubende Auswahl an Parfümflakons, Stoffen, Likören, Juwelen, feinen Törtchen und Büchern darbot.
»Was soll es denn sein?«, fragte Gerard, während er Lucy aus der Kutsche half und ihre behandschuhte Hand ein wenig länger hielt als notwendig. »Der Schreibwarenladen? Ich würde es unerträglich finden, wenn Sie Ihr Seestück nicht vollenden könnten.«
Lucy öffnete den pagodenförmigen Schirm, um das Gesicht vor der Sonne zu schützen. Als sie ihm ein Lächeln schenkte, läuteten in seinem Kopf die Alarmglocken Sturm. »Ich werde heute Morgen den Seidenhändler aufsuchen, weil ich …« Sie verstummte und studierte scheu die bestrumpften Zehenspitzen, die aus ihren Sandalen lugten.
»Weil Sie Besorgungen machen möchten, über die man in der Öffentlichkeit nicht spricht«, kam Gerard ihr zu Hilfe.
»Ganz genau. Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Es würde Sie eh nur langweilen.«
Au contraire, ma chérie! , dachte Gerard bei sich. Er war versucht mitzukommen. Nur um ihr zu zeigen, dass er mehr über all das hauchzarte Zeug aus Seide und Spitze wusste, als Lucy ihr Lebtag lernen würde.
Lucy glaubte, einen Weg gefunden zu haben, ihn loszuwerden, und konnte nicht ahnen, dass sie ihm genau in die teuflischen Hände spielte.
Er eskortierte sie zum Eingang des Ladens, dessen hohe Fenster mit italienischer Seide, Brüsseler Spitze, gemustertem Chintz und Musselinstoffen drapiert waren, die sogar noch durchsichtiger waren als die, die Lucy trug. »Ich warte draußen auf Sie. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte er großzügig.
Sie blinzelte zu ihm auf. Seine Nachgiebigkeit brachte sie offensichtlich aus dem Konzept. Claremont schob sie sanft durch die Ladentür.
Und konnte nicht widerstehen, einen Blick in den goldverzierten Verkaufssalon zu werfen. Eine der Verkäuferinnen kam sofort auf Lucy zu und drückte ihr eine Seidenprobe in die Hand. »Unsere beste italienische Qualität, Miss. Ganz hinreißend und so schön kühl«, gurrte sie mit starkem Akzent.
Lucy betastete das glatte Gewebe und war sich des sinnlichen Ausdrucks in ihrem Gesicht nicht bewusst. Hinreißend bestimmt, aber schwerlich kühl, dachte Gerard, durch dessen Kopf quälend klar hitzige Fantasiebilder jagten: Lucys Fingerspitzen auf dem Seidengewebe. Seine Fingerspitzen auf ihrer Haut.
Er ballte die Fäuste und entfernte sich schnell von der Tür, bevor er noch selber in die Falle ging.
Es war über eine Stunde später, als Lucy aus dem geschmackvollen Dämmerlicht des Ladens auftauchte und in den hellen Sonnenschein trat. Sie gratulierte sich zu ihrer Raffinesse. Sie hatte sich nicht nur ihres lästigen Begleiters entledigt und eine Stunde für sich allein gehabt, sondern auch einen Ballen italienischer Seide, für den der Stoffhändler anfangs fünfzehn Schilling pro Yard verlangt hatte, für zehn
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