Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
Vom Netzwerk:
Spitze widerstand allem Quetschen. Dreimal hintereinander versuchte sie, eine der überquellenden Schubladen zuzuschieben, dann gestand sie sich ihre Niederlage ein, lief quer durchs Zimmer und sank auf die Fensterbank.
    Im Pförtnerhaus brannte noch Licht, genau wie sie es vermutet hatte.
    Kleine Graupelkörnchen pochten an die Fensterscheiben. Lucy fühlte sich wie ein hilfloses kleines Tier, das man in ein Stundenglas gesperrt hatte. Gerards Kuss hatte ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt und durchgeschüttelt. Und die glitzernden Scherben hatte sich um sie herum – ebenso schön wie gefährlich -zu unbekannten, fremdartigen Mosaiken gruppiert.
    Du bist in ihn verliebt, nicht wahr?
    Die vorwurfsvolle Stimme klang so real, dass auf den Fenstern die Eisschicht zu schmelzen schien und ihr das finstere Gesicht ihres Vaters zeigte. Sie zwinkerte die Erscheinung heftig fort.
    Gegen die ausgesprochenen und unausgesprochenen Vorwürfe des Admirals war Unschuld stets die beste Verteidigung gewesen. Sie hatte den Zorn über Vaters Ungerechtigkeiten hinuntergeschluckt, hatte sich die Unschuldsbeteuerungen verbissen und sich ganz auf ihre Tugendhaftigkeit besonnen.
    Doch jetzt hatte sie keine Rechtfertigung mehr. Sie war schuldig im Sinne der Anklage. Strafbar, weil sie den falschen Mann liebte.
    Sie presste die Stirn ans kalte Glas. Captain Doom hätte ihr die Seele vielleicht rauben können, doch jetzt lief sie Gefahr, Gerard Claremont freiwillig ihr Herz zu schenken.
     
    Als der Morgen dämmerte, stand Lucy an die hintere Seite der alten Eiche gedrückt und schaute dem eigenen Atem zu, der wie Treibgut in der eisigen Luft in winzigen Fetzen davonsegelte. Dass Ausflüchte gegen Mr. Claremont nichts ausrichteten, hatte sie bereits festgestellt. Er durchschaute sie schlicht. Eine vernünftige, erwachsene Auseinandersetzung über die peinliche Situation, in der sie beide steckten, würde ihn eher überzeugen. Sogar ein scharfsinniger Mann wie Gerard würde ihre Logik unwiderstehlich finden.
    Von der anderen Seite des Baumes knirschten Schritte über das vereiste Gras. Lucy drückte den Rücken an den knorrigen Stamm, schloss die Augen und verharrte in unglückseliger Vorahnung. Eine Wolke aus Zigarrenrauch driftete an ihr vorbei. Sie sog den Duft tief in die Lungen, als handle es sich um magischen Weihrauch, der ihr Kraft verlieh.
    Sie mühte sich, zwischen Vernunft und Gefühlsverwirrung zu unterscheiden, so wie es ihr der Admiral beigebracht hatte, ließ ihren wollenen Mantel anmutig wie eine Glocke schwingen und trat hinter dem Baum hervor.
    Gerard blieb wie angewurzelt stehen. Er wirkte nicht sonderlich überrascht, erschien Lucy aber beunruhigend vorsichtig zu sein, ganz als hätte er zwar geahnt, dass dieses Zusammentreffen unvermeidlich war, aber dennoch gehofft, ihm zu entgehen.
    Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und erstickte ihre Stimme. Ihr Leibwächter trug den Gehrock offen und darunter ein nur halb zugeknöpftes Hemd. Eine rauchende Zigarre hing in seinem Mundwinkel. Sein Haar war zerzaust, als habe er sich aus dem Bett gerollt und das Kämmen vergessen. Die Wintersonne, die sich fahl durch den morgendlichen Nebel kämpfte, vergoldete den kräftigen zimtigen Farbton.
    Doch sein Gesicht – dieses jungenhafte Gesicht mit den des Lebens überdrüssigen, zynischen Schatten – beraubte Lucy ihrer hart erkämpften Fassung.
    Er bohrte die Hände in die Hosentaschen, wippte auf den Absätzen nach hinten und musterte sie mit fragendem Blick.
    Jetzt ist der Moment da, sagte sie sich aufmunternd. Jetzt konnte sie ihm ruhig ihre wohl überlegte, ordentlich herauspräparierte Gefühlsanalyse darlegen und die realistischen Zukunftsaussichten, die sie eine schlaflose Nacht lang ausformuliert hatte.
    Sie machte den Mund auf. Und platzte ein »Ich liebe dich« heraus.
    Gerard fühlte sich plötzlich wie taubstumm. Er traute sich nicht zu, Lucy gegenüber die Maske der Gleichgültigkeit zu wahren. Er traute sich nicht zu, mit Lucy zu sprechen, ohne ihr dabei zu enthüllen, wie sehr er sie begehrte. Er war nicht einmal in der Lage, sie aus ihres Vaters Tyrannei zu befreien. Alles, was er ihr zu bieten hatte, war eine neue Art der Gefangenschaft, sinnlich und kurzlebig, und Lucy würde sie noch bereuen, wenn er längst schon wieder fort war.
    Eine Ewigkeit lang klebte die Zigarre schlaff auf seiner Unterlippe, dann endlich fiel sie auf den Boden. Und genau wie Lucys Träume verglühte sie im kalten Gras, als Gerard wortlos

Weitere Kostenlose Bücher