Verführt: Roman (German Edition)
irritierte sie ihn ebenso sehr wie das Limonenaroma, das sich durch den Duft aus Tabak und Leder in seine Nase schlich.
Verdrießliches Gemurmel drang an sein Ohr. Er entdeckte Lucy in der äußersten Ecke der Kajüte, wo sie auf Knien eine altertümliche Seekiste durchwühlte. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er sah, dass sie sich eine seiner ausrangierten Seemannshosen angezogen hatte. Das abgewetzte Rehleder umhüllte locker ihre hinteren Rundungen und ihre langen Schenkel. Gerard brauchte nur kurz die Kleidungsstücke durchzugehen, die über dem eisernen Kanonenofen hingen, und wusste, dass sie darunter nur blanke Haut trug. Die Vorstellung erregte und erheiterte ihn gleichermaßen.
Dankbar, einen standhaften Begleiter an seiner Seite zu haben, winkte er Apollo herbei.
»Suchen Sie vielleicht das hier, Miss Snow?«, fragte er laut und zog den Brieföffner des Admirals aus der Tasche.
Lucy schoss hoch und schlug sich den Kopf am Kistendeckel. Dann drehte sie sich um, starrte ihn finster an, rieb sich die Stirn und schenkte ihm schließlich ein süßsäuerliches Lächeln. »Nein, den brauche ich nicht. Ich hatte damals leider nicht die Zeit, Ihnen zu sagen, wohin Sie ihn zurückschicken sollen.«
Unsicher kam sie auf die Füße. Gerard erschien ihr wie ein verschwommenes Trugbild. Wie gern hätte sie die widersprüchlichen Bilder in Einklang gebracht. Als sie das vertraute Funkeln in seinen Augen sah, war ihr erster Impuls, sich in seine Arme zu werfen und in Tränen auszubrechen. Doch dann straffte sie die Schultern und wappnete sich gegen den sinnlosen Drang.
Aber als hinter dem Vorhang aus Unterröcken Gerards riesenhafter Begleiter auftauchte, ließ das frisch gewonnene Gleichgewicht sie gleich wieder im Stich. Lucy war in ihrem Leben nur zweimal einem dunkelhäutigen Mann begegnet. Der eine war ein kleiner Junge gewesen, von dem die Duchess of Emmons geprahlt hatte, er schliefe zusammengerollt wie ein kleines Schoßhündchen auf einem Kissen am Fuß ihres Bettes. Der andere war ein älterer Lakai gewesen, dessen Würde weder die gepuderte Perücke etwas hatte anhaben können noch die seidene Livree, die er auf Geheiß seines Herrn zu tragen hatte.
Sie wusste, es war zutiefst ungezogen, aber sie starrte den Mann an. Seine Haut absorbierte das Licht wie starker schwarzer Kaffee ohne den winzigsten Tropfen Sahne. Sein kahler Schädel glänzte vor Öl. Eine farbenprächtige Patchwork-Weste hing offen auf seiner Brust und ließ massige Muskelstränge sehen. Scharlachrote Beinkleider umschlossen eng die unerhört langen Beine, deren nackte Knöchel ein breiter Ring vernarbter Haut umschloss. Diese Narben, rau und hässlich, wie sie waren, ließen Lucy förmlich versteinern.
»Stell Miss Snows Tablett auf den Tisch, Apollo«, befahl Gerard freundlich.
Lucy rutschte das Herz in den Magen. Wie hatte sie nur etwas anderes erwarten können? Er war schließlich ein Pirat. Ein Bandit. Ein berüchtigter Schurke, der genauso gedankenlos Menschenhandel trieb, wie er eine Fregatte der Königlichen Schatzkammer aufbrachte. Oder die Frau entführte, zu deren Schutz er eigentlich engagiert worden war. Sie konnte nicht erwarten, dass an Gewissensbissen litt, wer gar kein Gewissen hatte.
Doch auch die vernünftigsten Überlegungen halfen nichts, und sie fragte sich deprimiert, ob schon jemals ein Mensch an Desillusionierung gestorben war.
Ihr Blick war die pure Verachtung, die Stimme reinste Scheinheiligkeit. »Sie gehorchen wohl besser Ihrem Herrn, Mr. Apollo. Ich fände es wirklich abscheulich, wenn er Sie wegen eines winzigen Zögerns auspeitschen ließe. Schließlich sind wir wohl beide seine Leibeigenen.«
Gerard stöhnte und rollte die Augen.
Apollo stellte das Tablett ab und zog mit eleganter Armbewegung einen Stuhl heran. »Seit elf Jahren ist keiner mehr mein Herr gewesen, Miss. Ich bin ein freier Mann.«
»Miss Snow, darf ich Ihnen den stellvertretenden Kapitän vorstellen – unseren Steuermann Apollo?«
Lucy wusste nicht, was schrecklicher war – Apollos dezenter Tadel oder Gerards überhebliches Grinsen. Sie hätte sich am liebsten unter den Stuhl gesetzt.
»Wir kennen einander bereits«, sagte sie leise. »Ich vergesse niemals eine Stimme.«
Falls Apollo irgendwelche Gewissensbisse verspürte, weil Lucy in ihm ihren ersten Entführer erkannte, dann verbarg er es hinter einem engelsgleichen Lächeln.
Was Gerards laszive Pose und die hoch gezogenen Augenbrauen vergleichsweise nur noch
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