Verfuehrt, Verlobt - Verraten
Sessel, eine Decke über die Beine gebreitet, obwohl es warm im Zimmer war.
„So, mein Sohn, du bist also gekommen.“
Giancarlo sah mit undurchdringlichem Blick zu seinem Vater hin und fragte sich, ob seine Erinnerung ihm einen Streich spielte. Alberto sah so … so alt und eingefallen aus. Dann wurde ihm bewusst, dass immer noch der Mann in seiner Erinnerung lebte, der sein Vater vor zwanzig Jahren gewesen war. „Vater.“
„Caroline, anstatt dazustehen und zu starren, biete unserem Gast etwas zu trinken an. Und wenn du schon dabei bist … ich nehme einen Whiskey.“
„Oh nein, nichts dergleichen.“ Caroline riss sich aus der Starre. Jetzt, da sie sich wieder auf vertrautem Gebiet befand, nahm sie sofort die Beschützerhaltung gegenüber ihrem Arbeitgeber ein und stellte sich neben seinen Sessel, auch wenn Alberto sie mit einem schwachen Wink der Hand wegscheuchen wollte. Giancarlo erkannte aber auch, dass es ein Spiel war, das beiden vertraut war und beide gerne spielten.
Für einen Moment fühlte Giancarlo sich wie ein Eindringling. Dann änderte sich das Bild, als Caroline zu einem holzverkleideten Kühlschrank ging, und das Gefühl verschwand. Caroline plapperte nervös etwas von „praktisch“ und „kein Personal“ und dass Alberto zu schwach sei, um für jedes Glas Saft bis in die Küche zu laufen.
„Natürlich achten wir darauf, was wir hineinstellen“, erzählte sie hektisch weiter, um die Spannung, die fühlbar im Raum hing, zu überspielen. „Whiskey werden Sie hier nicht finden, schließlich kennen Tessa und ich Albertos Schwäche dafür. Aber ich habe vorhin Wein kalt gestellt. Ist das genehm?“ Sie vermied es, Vater und Sohn anzusehen, doch konnte sie sich bestens vorstellen, wie die beiden einander taxierten.
Hätte sie die Wahl, wäre sie längst in ihr Zimmer geflohen, doch der Beschützerinstinkt gegenüber Alberto hielt sie hier fest. Und als sie sich dann zu den beiden umdrehte, ein Tablett mit vollen Weingläsern und Schalen mit Knabberzeug in den Händen, saß Giancarlo lässig in einem Sessel seinem Vater gegenüber. Sollte er sich unwohl fühlen, war es ihm nicht anzumerken.
„Man hat mir berichtet, dass du einen Herzinfarkt hattest, Vater …“
„Wie war die Fahrt, Giancarlo? Gibt es immer noch so viel Verkehr in den Dörfern?“
Beide hoben sie gleichzeitig zu sprechen an. Caroline reichte das Tablett herum und setzte sich dann ebenfalls. Sie trank ihren Wein viel zu schnell, hoffte so, ihre Nerven ein wenig beruhigen zu können, und verfolgte schweigend die höfliche Konversation mit. Sie fragte sich, ob den beiden überhaupt klar war, dass sie die gleichen Gesten und die gleiche Körpersprache hatten. Das Band zwischen Vater und Sohn hätte sich eigentlich sofort bilden müssen, stattdessen wirkte dieses steife Frage-und-Antwort-Spiel wie eine Tür, die lautstark ins Schloss schlug.
Giancarlo war gekommen. Er war hier. Er redete. Aber er kommunizierte nicht. Immerhin hielt er sich an seine Zusage und erwähnte kein Wort von Finanzen.
Das Dinner bestand aus einer klaren Suppe und einem Fischgericht. Die beiden Mädchen aus dem Dorf waren gerufen worden, um aufzutragen, und so aßen sie nicht wie sonst in der Küche, sondern im Speisezimmer – was sich als großer Fehler erwies. Die formelle Umgebung trug keineswegs dazu bei, die Atmosphäre zu entspannen. Tessa hatte sich bereit erklärt, dieses Mal nicht um Alberto herumzuflattern und ihn zu beaufsichtigen, sondern ihr Essen allein einzunehmen, und Caroline wünschte sich von Herzen, sie könnte sich zu der Krankenschwester gesellen. Die Anspannung hing förmlich greifbar in der Luft.
Als der Hauptgang serviert wurde, reichte es Caroline endgültig. Wenn keiner der beiden irgendeines der angesprochenen Themen länger als zwei Sätze halten konnte, dann würde sie eben einspringen müssen, um die Stimmung zu entspannen. Also begann sie zu erzählen – von ihrer Kindheit in Devon, wie es war, bei Eltern aufzuwachsen, die beide Lehrer und überzeugte Öko-Anhänger waren. Sie erzählte von freilaufenden Hühnern, die so viele Eier legten, dass ihre Mutter ständig backte, nur um sie zu verarbeiten. Die Kuchen spendete sie dann der kleinen Kirchengemeinde und hatte dafür sogar eine Urkunde erhalten. Sie schilderte lustige Anekdoten über die Austauschstudenten, die regelmäßig bei ihnen unterkamen, und beschrieb die Küchenexperimente ihrer Mutter mit selbst gezogenem Gemüse, bis ihr Vater und sie
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