Verführt von einer Lady
„Wirklich?“ Bis zu diesem Tag war er für sie der Duke gewesen, der hoch auf seinem Piedestal stand, viel zu erhaben, um mit gewöhnlichen Sterblichen zu plauschen.
„Ist es so schwer, sich vorzustellen, dass ich einen Freund haben könnte, der im Rang unter mir steht?“, fragte er.
„Natürlich nicht“, erwiderte sie. Die Wahrheit konnte sie ihm ja schlecht sagen – dass es schwer war, sich ihn mit irgendeinem Freund vorzustellen. Nicht dass es ihm an irgendetwas gebrach. Ganz im Gegenteil. Er war in jeder Hinsicht ein so prachtvoller Mann, dass man sich einfach nicht vorstellen konnte, zu ihm hinzugehen und irgendetwas Banales oder Freundliches zu ihm zu sagen. Aber genau so entstanden Freundschaften. Mit einem ganz unbedeutenden Moment, einem Schirm, den man sich teilte, einem grässlichen Konzert, das man miteinander durchlitt.
Sie hatte gesehen, wie die Leute ihm begegneten. Entweder umschmeichelten sie ihn kriecherisch und warben um seine Gunst, oder sie traten beiseite, zu verschüchtert, um ein Gespräch anzufangen.
Bis jetzt hatte sie nie so recht darüber nachgedacht, aber bestimmt war es ziemlich einsam, der Duke of Wyndham zu sein.
Sie betraten den Gasthof. Selbst wenn Amelia das Gesicht höflich geradeaus gerichtet hatte, linste sie aus den Augenwinkeln eifrig umher, um alles zu sehen. Sie wusste nicht recht, was ihre Mutter so abstoßend fand; sie fand, dass alles vollkommen respektabel wirkte. Außerdem roch es einfach himmlisch, nach Hackbraten und Zimt und irgendetwas, was sie nicht einordnen konnte, etwas Würzigem und Frischem.
Sie gingen in den Schankraum und wurden umgehend vom Wirt willkommen geheißen. „Wyndham! An zwei Tagen hintereinander! Wem oder was habe ich deine gnadenvolle Anwesenheit zu verdanken?“
„Hör bloß auf, Gladdish“, brummte Thomas und geleitete Amelia zum Tresen. Sie glitt auf einen Barhocker und fühlte sich dabei sehr verrucht.
„Du hast getrunken“, sagte der Gastwirt grinsend. „Aber nicht bei mir. Das betrübt mich.“
„Ich brauche einen Rettmich“, sagte Thomas.
Was wirklich nicht viel mehr Sinn ergab als ein Rettich, dachte Amelia.
„Und ich möchte vorgestellt werden“, erwiderte der Wirt.
Amelia grinste. So hatte sie noch niemanden mit Seiner Gnaden reden hören. Grace kam dem nahe … manchmal. Aber nicht so. So wagemutig wäre sie nie gewesen.
„Harry Gladdish“, sagte Thomas gereizt – er war es nicht gewohnt, nach der Pfeife eines anderen zu tanzen, „Lady Amelia Willoughby, Tochter des Earl of Crowland.“
„Und deine Verlobte“, murmelte Mr. Gladdish.
„Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte Amelia und streckte die Hand aus.
Er küsste sie, was ihr ein weiteres Grinsen entlockte. „Ich habe schon darauf gewartet, Sie endlich einmal kennenzulernen, Lady Amelia.“
Sie strahlte. „Wirklich?“
„Seit … also, verfl…ixt, Wyndham, seit wann wissen wir, dass du verlobt bist?“
Thomas verschränkte die Arme. Seine Miene wirkte gelangweilt. „Ich weiß es, seit ich sieben bin.“
Mr. Gladdish schenkte Amelia ein spitzbübisches Lächeln. „Dann weiß ich es auch, seit ich sieben bin. Wir sind gleichaltrig, wissen Sie?“
„Dann kennen Sie einander schon sehr lange?“, fragte Amelia.
„Seit ewigen Zeiten“, bestätigte Mr. Gladdish.
„Seit unserem dritten Lebensjahr“, korrigierte Thomas. Er rieb sich die Schläfen. „Einen Rettmich, wenn du so gut sein würdest.“
„Mein Vater war der Gehilfe des Stallmeisters von Belgrave“, sagte Mr. Gladdish und ignorierte Thomas vollkommen. „Er hat uns beiden das Reiten beigebracht. Ich war besser.“
„War er nicht.“
Mr. Gladdish beugte sich vor. „In allem.“
„Erinnere dich bitte daran, dass du verheiratet bist“, fuhr Thomas ihn an.
„Sie sind verheiratet?“, sagte Amelia. „Wie schön! Wir laden Sie und Ihre Frau nach Belgrave ein, wenn wir verheiratet sind.“ Sie hielt den Atem an – ihr war beinahe schwindelig. Nie hatte sie ihr Leben als verheiratetes Paar mit einer derartigen Sicherheit vorweggenommen. Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie die Kühnheit besessen hatte, es auszusprechen.
„Ach, das wäre aber nett“, sagte Mr. Gladdish und warf Thomas einen etwas merkwürdigen Blick zu. Amelia fragte sich, ob der ihn je eingeladen hatte.
„Der Rettmich, Harry“, knurrte Thomas beinahe. „Sofort.“
„Er ist betrunken, wissen Sie“, erklärte Mr. Gladdish ihr.
„Nicht mehr“, erwiderte sie.
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