Verführt von einer Lady
Emporkömmling, wissen Sie.“
Sie nickte. Sicherlich hatte sie das bereits gewusst, das wusste jeder. Zwar schien sich heutzutage niemand mehr daran zu stören, aber jeder wusste, dass die letzte Herzogin keine Verbindung zum Adel besessen hatte.
Der Titel. Das war wirklich unbeschreiblich. Sein Vater hatte sein ganzes Leben damit verbracht, seinen eigenen Titel anzubeten, und nun schien es, als wäre er überhaupt nie Herzog gewesen. Nicht, wenn Mr. Audleys Eltern so vernünftig gewesen waren zu heiraten.
„Wyndham?“, sagte sie leise.
Er fuhr aus seinen Gedanken auf. Offenbar war er meilenweit entfernt gewesen. „Thomas“, erinnerte er sie.
Auf ihren Wangen breitete sich zarte Röte aus. Nicht aus Verlegenheit, sondern vor Freude. Der Gedanke wärmte ihn und drang in einen Winkel seines Herzens, der schon lange verwaist dalag.
„Thomas“, sagte sie sanft.
Es brachte ihn dazu, ihr mehr erzählen zu wollen. „Er heiratete sie, bevor er den Titel erbte“, erklärte er. „Damals, als er in der Erbfolge noch an dritter Stelle stand.“
„Einer seiner Brüder ist ertrunken, nicht wahr?“
O ja, der liebe John, der vielleicht einen legitimen Sohn gezeugt hatte – oder auch nicht.
„Er war der zweite Sohn, nicht?“, fragte Amelia leise.
Thomas nickte, etwas anderes hätte er nicht tun können. Er hatte nicht vor, ihr zu erzählen, was gestern geschehen war. Gütiger Himmel, das war Wahnsinn. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden hatte er sie noch fröhlich im Garten geküsst und gedacht, es wäre nun endlich an der Zeit, sie zu seiner Herzogin zu machen, und jetzt wusste er nicht einmal mehr, wer er war.
„John“, zwang er sich zu sagen. „Er war der Lieblingssohn meiner Großmutter. Sein Schiff sank in der Irischen See. Und ein Jahr später starben der alte Herzog und sein Erbe innerhalb einer Woche an einem Fieber, und plötzlich erbte mein Vater.“
„Das kam sicher ziemlich überraschend.“
„Allerdings. Niemand hätte gedacht, dass er je den Titel erben würde. Ihm standen drei Wege offen: Er konnte zum Militär, Pfarrer werden oder eine Erbin heiraten.“ Thomas lachte hart. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer von seiner Wahl überrascht war. Und was meine Mutter angeht – also das ist wirklich witzig. Ihre Familie war nämlich auch enttäuscht. Noch mehr als unsere.“
Erstaunt richtete sie sich auf. „Obwohl sie sich mit dem Sohn eines Duke of Wyndham vermählte?“
„Sie waren wahnsinnig reich“, erklärte Thomas. „Ihr Vater besaß im ganzen Norden Fabriken. Sie war das einzige Kind. Ihre Familie rechnete ganz sicher damit, dass ihre Tochter einen Titel heiraten würde. Mein Vater hatte damals noch keinen. Und wenig Hoffnung, ihn je zu erben.“
„Was geschah dann?“
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Meine Mutter war durchaus hübsch. Und wirklich reich genug. Aber sie kam irgendwie nicht an. Und so mussten sie sich mit meinem Vater zufriedengeben.“
„Der wiederum dachte, er müsste sich mit ihr zufriedengeben“, vermutete Amelia.
Thomas nickte grimmig. „Er konnte sie von Anfang an nicht leiden, aber als seine zwei älteren Brüder dann tot waren und er der Duke wurde, verabscheute er sie regelrecht. Und er machte sich nie die Mühe, es zu verbergen. Weder vor mir noch vor sonst irgendwem.“
„Hat sie diese Gefühle erwidert?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Thomas. Ihm wurde bewusst, dass er sich diese Frage nie gestellt hatte. Merkwürdig. „Sie hat sich nie gewehrt, wenn Sie sich das fragen.“ In Gedanken sah er seine Mutter vor sich, ihr ständig verstörtes Gesicht, die Erschöpfung in ihren wasserblauen Augen. „Sie hat es einfach … hingenommen. Hat sich seine Beleidigungen angehört, nie etwas darauf erwidert und sich abgewendet. Nein, nein“, widersprach er sich, als ihm einfiel, wie es wirklich gewesen war. „So ist es nicht passiert. Sie hat sich nie abgewendet. Sie hat immer darauf gewartet, dass er weggeht. Nie hätte sie es sich herausgenommen, einen Raum vor ihm zu verlassen. Das hätte sie sich nicht getraut.“
„Was hat sie gemacht?“, fragte Amelia leise.
„Sie war gern im Garten“, erinnerte Thomas sich. „Und wenn es regnete, verbrachte sie viel Zeit damit, aus dem Fenster zu schauen. Sie hatte wohl nicht viele Freunde. Ich glaube nicht …“
Er hatte sagen wollen, dass er sich nicht daran erinnern konnte, sie je lächeln gesehen zu haben, aber in diesem Augenblick geisterte ihm eine
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