Verführt von einer Lady
amüsieren.
„Manchmal weiß ich wirklich nicht, warum ich mir solche Mühe gebe, Sie in unserer Familie zu begrüßen“, sagte die Herzoginwitwe zu Amelia und warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
Amelia schluckte und wünschte sich, sie hätte eine Antwort parat, denn sie glaubte, dass sie diesmal mutig genug gewesen wäre, sie laut auszusprechen. Aber ihr fiel nichts ein, jedenfalls nichts, was so wahnsinnig schneidend und witzig gewesen wäre, wie sie es sich gewünscht hätte. Und so presste sie nur die Lippen aufeinander und fixierte einen Fleck an der Wand.
„Es besteht keinerlei Grund, so zu reden, Augusta“, mahnte Lord Crowland. Als sie ihn wütend anfunkelte, weil er die Frechheit besessen hatte, sie mit Vornamen anzusprechen – er war einer der wenigen, die das wagten, und sie ärgerte sich jedes Mal schwarz darüber –, fügte er hinzu: „Ein weniger friedfertiger Mann als ich könnte das als Beleidigung auffassen.“
Glücklicherweise wurde die feindselige Stimmung durch Thomas’ Ankunft durchbrochen. „Guten Morgen“, sagte er freundlich und setzte sich an den Tisch. Es schien ihn nicht weiter zu stören, dass niemand seinen Gruß erwiderte. Amelia nahm an, dass ihr Vater zu sehr damit beschäftigt war, die Herzoginwitwe an ihren Platz zu verweisen, und die Herzoginwitwe – nun, die erwiderte nur sehr selten einen Gruß, daher brauchte man sich darüber nicht weiter zu wundern.
Was sie selbst anging, so hätte sie gern etwas gesagt. Wirklich, es war so angenehm, dass sie in Thomas’ Gegenwart nicht mehr so schüchtern war. Aber als er Platz nahm – direkt gegenüber –, sah sie auf, und dann sah er auf, und …
Es war nicht direkt so, dass sie eingeschüchtert gewesen wäre. Irgendwie schien sie nur einfach vergessen zu haben, wie man atmete.
So blau waren seine Augen.
Bis auf den Streifen natürlich. Sie liebte diesen Streifen. Und dass er ihn albern fand.
„Lady Amelia“, murmelte er.
Sie nickte und stieß ein „Duke“ hervor, da „Euer Gnaden“ entschieden zu viele Silben enthielt.
„Ich reise jetzt ab“, kündigte die Herzoginwitwe abrupt an. Zornig kratzte ihr Stuhl über den Boden, als sie sich erhob. Sie hielt einen Augenblick inne, als erwartete sie, dass sich jemand zu ihrer Abreise äußerte. Als keiner etwas sagte (also ehrlich, dachte Amelia, glaubt sie denn wirklich, dass irgendwer versuchen könnte, sie aufzuhalten?), setzte die Herzoginwitwe hinzu: „In dreißig Minuten ist Abmarsch.“ Dann richtete sie ihren zornig flackernden Blick auf Amelia. „Sie fahren mit mir in der Kutsche.“
Amelia fragte sich, wieso die Herzoginwitwe das Gefühl hatte, dies lauthals verkünden zu müssen. Sie saß schon die ganze Zeit mit der Herzoginwitwe in einer Kutsche, warum sollte es in Irland anders sein als in England? Trotzdem, irgendetwas an ihrem Ton drehte ihr den Magen um, und sobald die Herzoginwitwe gegangen war, stieß sie ein erschöpftes Seufzen aus.
„Ich glaube, ich werde seekrank“, sagte sie und sackte auf dem Stuhl zusammen.
Ihr Vater warf ihr einen ungeduldigen Blick zu und stand dann auf, um sich Nachschlag zu holen. Thomas jedoch lächelte. Hauptsächlich mit den Augen, aber sie empfand dennoch eine warme, wunderbare Nähe, die beinahe genug war, um die düsteren Vorahnungen zu vertreiben, die sich kalt um ihr Herz woben.
„Seekrank auf dem Land?“, murmelte er lächelnd.
„Mein Magen fühlt sich sauer an.“
„Als würde er sich umdrehen?“
„Als würde er Purzelbäume schlagen.“
„Merkwürdig“, sagte er trocken. Er steckte sich ein Stück Schinkenspeck in den Mund, kaute, schluckte und fuhr fort: „Meine Großmutter ist zu einigem fähig – Pest, Hungersnot oder Seuchen würde ich ihr durchaus zutrauen. Aber Seekrankheit …“ Er lachte leise. „Das beeindruckt mich beinahe.“
Amelia seufzte und schaute auf ihren Teller, der auf sie inzwischen nur noch wenig anregender wirkte als ein Teller mit Würmern. Sie schob ihn weg. „Wissen Sie, wie lange wir nach Butlersbridge unterwegs sein werden?“
„Einen Großteil des Tages, nehme ich an, vor allem, wenn wir mittags irgendwo Rast machen.“
Amelia blickte zur Tür, durch die die Herzoginwitwe eben abgerauscht war. „Das wird sie wohl nicht wollen.“
Thomas zuckte mit den Schultern. „Es wird ihr nicht viel anderes übrig bleiben.“
In diesem Augenblick kehrte Amelias Vater mit frisch gefülltem Teller zum Tisch zurück. „Wenn du erst einmal Herzogin bist“,
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