Verfuehrt zur Liebe
nicht die Einzigen, die die Aussicht auf den Ball begeisterte. Lady Hammond, Lady Osbaldestone, sogar Lady Calvin waren mehr als bereit, sich so unterhalten zu lassen.
Es war Sommer; es gab herzlich wenig andere Gelegenheiten, bei denen sie ihr Talent zur Entfaltung bringen konnten.
Portia begriff nicht sofort, was der Grund ihres Interesses war; als aber Lady O. am Nachmittag darauf bestand, dass sie sie nach oben begleitete - wo die ältere Dame angeblich ein Nickerchen halten wollte, dann aber darauf beharrte, erst in Portias Zimmer zu gehen -, dämmerte es ihr.
»Steh nicht herum, Mädchen!« Mit ihrem Gehstock klopfte Lady O. auf den Boden. »Zeig mir das Kleid, das du heute Abend tragen willst.«
Zweifelnd, ob das zu etwas führen würde, brachte Portia sie in das Zimmer im Ostflügel, das man ihr zugewiesen hatte. Es war geräumig mit einem großen Schrank, in den die Zofe alle ihre Kleider gehängt hatte. Nachdem sie Lady O. in dem Polstersessel vor dem Kamin untergebracht hatte, ging sie zum Schrank und öffnete beide Türen weit.
Dann zögerte sie. Sie hatte noch gar nicht richtig darüber nachgedacht, was sie anziehen wollte; sie hatte sich nie deswegen viele Gedanken gemacht. Dank der Großzügigkeit ihres Bruders und des ausgezeichneten Zustands der Finanzen der Familie hatte sie genug hübsche Kleider, aber bislang hatte sie sie - und ihre Erscheinung ganz allgemein - als selbstverständlich genommen.
Lady O. schnaubte. »Wie ich es mir gedacht habe! Du hast nicht die geringste Ahnung. Nun gut, dann lass uns mal ansehen, was du mitgenommen hast.«
Gehorsam zeigte sie alle Abendkleider, die sie dabeihatte. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, fand sie, dass ihr das dunkelgrüne Seidenkleid am besten gefiel - und sagte das auch.
Lady O. schüttelte den Kopf. »Nicht heute. Heb dir die Dramatik für später auf, wenn du dir seiner sicher bist. Dann ist es am wirkungsvollsten. Heute Abend musst du ...«, sie wackelte mit den Fingern, »... weniger selbstbewusst, weniger sicher erscheinen. Das hier verlangt nach sorgfältiger Planung, Mädchen. Strategie!«
Portia hatte die Farben ihrer Kleider nie unter diesem Gesichtspunkt betrachtet; sie musterte noch einmal die Kleider, die sie auf dem Bett ausgebreitet hatte, dachte nach ...
»Was ist mit diesem hier?« Sie zog ein Kleid aus Seide in einem zarten Perlgrau hervor - eine ungewöhnliche Farbe, besonders für eine unverheiratete junge Dame, aber mit ihrem dunklen Haar, den dunklen Augen und bei ihrer Größe konnte sie sich leisten, diese Farbe zu tragen.
»Hm.« Lady O. winkte. »Halt es hoch.«
Portia gehorchte, strich das Kleid über ihrem Busen glatt, drapierte es so, dass Lady O. den raffinierten Schnitt sehen konnte. Das Oberteil war abgefüttert, bedeckt von ganz zarter Chiffonseide in genau demselben Ton, sodass der tiefe Ausschnitt nicht mehr ganz so gewagt wirkte.
Langsam breitete sich ein Lächeln auf Lady O.s Gesicht aus. »Perfekt. Nicht unbedingt unschuldig, sondern vielmehr unnahbar. Hast du passende Schuhe?«
Das hatte sie und einen feinen dunkelgrauen, mit Perlen bestickten Schal auch, sowie ein dazu passendes Retikül.. Lady O. nickte beifällig. »Und ich dachte, ich trage meine Perlen.«
»Lass mich sie sehen.«
Sie holte die lange Kette cremefarbener Perlen aus ihrer Schmuckschatulle und legte sie sich um den Hals. Sie reichte fast bis zu ihrer Taille. »Ich habe auch noch Ohrringe.«
Lady O. zeigte auf die Halskette. »Nicht so - versuch doch, sie einmal um deinen Hals zu schlingen und das Ende baumeln zu lassen.«
Sie hob die Brauen, tat es aber.
»Jetzt halt noch einmal das Kleid hoch ...«
Wieder folgte sie der Anweisung, strich das Oberteil glatt. Sie drehte sich zu dem Ankleidespiegel in der Ecke, bemerkte die unerwartete Wirkung. »Oh, ich verstehe.«
»Genau.« Lady O. nickte zufrieden. »Strategie!« Sie erhob sich schwerfällig, und Portia legte das Kleid aufs Bett, beeilte sich, ihr behilflich zu sein. Nachdem sie sicher stand, begab sich Lady O. zur Tür. »Jetzt kannst du mir auf mein Zimmer und ins Bett helfen. Dann gehst du hierher zurück, legst dich ebenfalls hin und ruhst dich aus!«
»Ich bin aber gar nicht müde.« Sie hatte noch nie in ihrem Leben vor einem Ball geruht.
Der wissende Blick, den Lady O. ihr zuwarf, als sie auf den Flur traten, verriet, dass sie das geahnt hatte. »Sei das, wie es wolle, du wirst mir heute den Gefallen tun, hierher zurückzukehren und dich auszuruhen, bis es Zeit
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