Verfuehrt zur Liebe
ist, sich für das Dinner und den Ball anzukleiden.« Als sie den Mund öffnete, um zu widersprechen, hob Lady O. eine Hand. »Abgesehen von der Tatsache, dass keine Dame, die so gut wie möglich aussehen möchte, an einem Ball teilnehmen sollte, wenn sie nicht vorher geruht hat, was hattest du sonst vor zu unternehmen?«
Die Frage wurde mit genügend Schärfe gestellt, sodass Portia innehielt. Sie überlegte, während sie den Flur entlanggingen, dann gestand sie: »Einen Spaziergang im Park und einen Besuch in der Bibliothek.«
»Und du denkst wirklich, berücksichtigt man die Gesellschaft hier, dass es dir gelingen wird, dabei alleine zu bleiben?«
Sie verzog das Gesicht. »Wahrscheinlich nicht. Jemand wird mich sehen und dazukommen ...«
»Nicht jemand ... ein Gentleman. All die anderen Damen werden klug genug sein, sich zurückzuziehen, da kannst du sicher sein.« Lady O. blieb vor ihrer Zimmertür stehen und stieß sie auf; Portia folgte ihr hinein, schloss die Tür hinter sich.
»Der eine oder andere Gentleman - vermutlich sogar mehr als einer - wird zu dir stoßen.« Lady O. ließ sich auf dem Bett nieder, stellte ihren Stock zur Seite und fixierte Portia mit ihrem weisen Blick. »Jetzt denk einmal nach! Ist es klug?«
Es war, als würde sie in einer Kunst unterrichtet, die ihr noch nie zuvor untergekommen war; sie riet: »Nein?«
»Natürlich nicht!« Lady O. ließ sich in ihre Kissen sinken und machte es sich bequem. Sie betrachtete Portia aus schmalen Augen. »Du hast den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag mit ihnen verbracht. Wenn du sie ständig mit deiner Gesellschaft beglückst, wirst du in ihnen wohl kaum Appetit auf mehr wecken. Jetzt - die nächsten Stunden bis zum Ball - ist die Zeit, sie auf Diät zu setzen. Dann suchen sie später bei Dinner und Ball viel eher wieder deine Nähe.«
Portia konnte nicht anders, als zu lachen; sie beugte sich vor, küsste Lady O. auf die Wange. »Sie sind eine schlimme Ränkeschmiedin!«
»Unsinn!« Lady O. schloss die Augen, ihre Züge entspann-ten sich. »Ich bin ein erfahrener General, und ich habe mehr Schlachten geschlagen - und gewonnen -, als du zählen kannst.«
Lächelnd zog Portia sich zurück. Sie war schon an der Tür, als Lady O. - ohne die Augen zu öffnen - ihr auftrug: »Jetzt geh und ruh dich aus!«
Portia musste grinsen. »Jawohl, Sir!« Dann schlüpfte sie aus dem Zimmer.
Und tat wirklich, was man ihr gesagt hatte.
4
»Und vergiss nicht - Strategie!«
Mit diesen mahnenden Worten segelte Lady O. in den Empfangssalon und überließ es Portia, in ihrem Kielwasser weniger schwungvoll zu folgen. Hocherhobenen Hauptes trat sie nach ihr ein - und bemerkte, dass sich Köpfe nach ihr umdrehten.
Umso interessanter war, dass die Damen sich nach einer kurzen, verständnisvollen Musterung wieder ihren Gesprächen zuwandten, während die Männer sie wesentlich länger betrachteten, manche sogar, bis sie durch eine Bemerkung wieder an ihre Umgebung erinnert wurden.
Sie war klug genug, um so zu tun, als habe sie nichts gemerkt. Mit unerschütterlicher Gelassenheit knickste sie artig vor Lady Glossup, die ihren Kopf hoheitsvoll lächelnd neigte, dann ging sie zu Winifred, die sich mit Desmond und James unterhielt.
Die Bewunderung in Desmonds und James’ Augen war deutlich zu erkennen, als sie sie begrüßten. Sie nahm sie als selbstverständlich hin und beteiligte sich gewandt an dem üblichen gesellschaftlichen Geplauder.
Im Stillen wunderte sie sich allerdings. Hatte sie sich verändert? War sie irgendwie anders, nur weil sie sich entschieden hatte, nach einem Ehemann Ausschau zu halten? Konnte man ihr das irgendwie anmerken? Oder, berücksichtigte man, dass sie vorher nie darauf geachtet hatte, wie andere Menschen, und vor allem Männer, auf sie reagierten, hatte sie immer schon diese Wirkung gehabt und es nur nie bemerkt?
Als sie sich unter die Gäste mischte und nach rechts und links grüßte, kam sie zu der Überzeugung, dass Letzteres der Fall war. Ein in gewisser Hinsicht bedrückender Gedanke; Lady O. hatte Recht gehabt - sie musste ihre Nase sehr hoch getragen haben. Doch die Erkenntnis stärkte ihr Selbstbewusstsein; zum ersten Mal wurde ihr klar, dass sie etwas in der Hand hatte - eine Waffe, Macht -, was sie benutzen konnte, um einen Ehemann zu bekommen.
Jetzt war alles, was sie noch lernen musste, den richtigen Herren auszuwählen und diese Waffe zu benutzen.
Simon stand bei den Hammond-Schwestern und Charlie; sie ging
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