Verfuehrt zur Liebe
völlig ratlos sein.
Das Unausweichliche mit Würde hinnehmend läutete Lady Glossup nach dem Teewagen. Alle blieben gerade lange genug, um eine Tasse zu trinken, dann gingen auch sie auf ihre Zimmer.
Nachdem sie Lady O. nach oben begleitet hatte, zog sich Portia in ihr Schlafzimmer zurück, oben im Ostflügel. Das Fenster ging auf die Gärten hinaus; sie schritt davor auf und ab, musterte stirnrunzelnd den Boden, achtete nicht auf die in Silber gebadete Landschaft.
Sie hatte Simon gesagt, dass sie glaubte, Kitty verstünde den Wert von Vertrauen nicht. Sie hatte von dem Vertrauen zwischen zwei Menschen gesprochen, und der Auftritt, den sie eben gesehen hatte, bestätigte ihre Ansicht, wenn auch in einem anderen Zusammenhang.
Sie hatten alle gespürt - sie hatten alle darauf reagiert -, als ob Kitty das Vertrauen der Gäste gebrochen hätte, indem sie sich weigerte, dem Verhaltensmuster zu folgen, das alle kannten und erwarteten. Die Muster sozialen Verkehrs, von Höflichkeit und der darin begründeten Struktur, auf die sie sich beriefen.
Ihre Reaktion war deutlich gewesen - die Weigerung der Herren, sich im Empfangssalon zu ihnen zu gesellen, eine unmissverständliche Aussage.
Portia blieb stehen, schaute auf die Gärten, doch ohne wirklich etwas zu sehen.
Vertrauen und Gefühle waren eng miteinander verbunden. Eines führte zum anderen, wenn das eine angesprochen wurde, antwortete das andere.
Mit gerunzelter Stirn setzte sie sich auf die Fensterbank; nach einem Moment verschränkte sie die Unterarme und stützte sich auf dem Fensterbrett ab, legte ihr Kinn darauf.
Kitty wollte Liebe. In ihrem Herzen wusste Portia, dass es so war. Kitty suchte das, was auch so viele andere Frauen erstrebten, aber in Kittys Fall mit ihren überzogenen Vorstellungen war Liebe sicher ein leidenschaftliches, überwältigendes Gefühl, das aufwallte und einen mit sich riss.
Wenn sie sich nicht irrte, war Kitty der Überzeugung, dass erst die Leidenschaft kam, die körperliche Intimität der Weg und das Tor zu tiefer, bedeutungsvoller emotionaler Nähe war. Vermutlich glaubte sie daher, dass wenn die Leidenschaft nicht heftig genug war, die Liebe, die daraus entstand, nicht machtvoll genug war - machtvoll genug, um ihr Interesse zu halten, ihre Sehnsucht zu stillen.
Das würde auch erklären, warum sie Henrys sanfte Zuneigung nicht zu schätzen wusste, warum sie darauf aus zu sein schien, in einem anderen Mann heftige, aber verbotene Leidenschaft zu wecken.
Portia verzog das Gesicht.
Kitty irrte.
Wenn sie es ihr nur erklären könnte ...
Das war natürlich ausgeschlossen. Kitty würde niemals einen Rat zu dem Thema Liebe von einem unverheirateten, jungfräulichen Blaustrumpf annehmen.
Eine leichte Brise wehte durchs Fenster, bewegte die drückende Luft im Raum. Draußen war es still, dunkel, aber nicht pechschwarz, kühler als drinnen.
Portia erhob sich, ordnete ihre Röcke und ging zur Tür. Sie konnte ohnehin jetzt noch nicht schlafen; die Atmosphäre im Haus war bedrückend, verunsichert und unfriedlich. Ein Spaziergang würde sie beruhigen, ihr helfen, ihre Gedanken zu ordnen.
Die Terrassentüren des Morgenzimmers standen noch offen; sie schritt hindurch und nach draußen in die sie willkommen heißende Milde der Nacht. Die Düfte des Sommergartens umfingen sie, als sie die Richtung zum See einschlug. Der Duft von Levkojen, Jasmin und andere, schwerere Düfte mischten sich, stiegen ihr in die Nase.
Während sie sich durch die Schatten bewegte, bemerkte sie einen Mann - einen der Gentlemen -, der auf dem Rasen stand, nicht weit vom Haus entfernt. Er schaute nach draußen in die Dunkelheit, offensichtlich in Gedanken versunken. Der Weg zum See führte sie dichter zu ihm - sie erkannte Ambrose, aber er verriet durch keine Bewegung, dass er sie bemerkt hatte.
Sie war nicht in der Stimmung für höfliche Konversation; und - da war sie sich sicher - Ambrose ebenfalls nicht. Daher hielt sie sich im Schatten und huschte an ihm vorüber, überließ ihn seinen Grübeleien.
Ein Stückchen weiter an einer der vielen Wegkreuzungen blickte sie nach rechts und sah den jungen Zigeuner-Gärtnerburschen - Dennis, hatte sie Lady Glossup zu ihm sagen hören. Er stand absolut reglos in den Schatten am Rande eines schmaleren Pfades.
Sie schritt ohne innezuhalten weiter, sie war sich sicher, dass Dennis sie nicht gesehen hatte. Wie neulich, als er Simon und ihr aufgefallen war, galt seine Aufmerksamkeit ganz dem privaten Flügel des
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