Verfuehrung
zurück, in dem ein paar Eisstückchen schwammen, obwohl es noch lange nicht heiß genug für gekühlte Getränke war, und Calori wurde aufgefordert, sich auf einen der mit weißer Seide bespannten Stühle zu setzen. Sie kam sich in ihrem einfachen Gewand wie ein pöbelhaft leuchtender Farbfleck in einem weiß-goldenen Puppenhaus vor.
»Zuvorkommend, hmm …«, sagte die Contessa. »Und ich dachte, alle Abbates seien langweilig.«
»Erzählen Sie uns mehr darüber, wie zuvorkommend er denn Ihnen gegenüber so war«, fiel der Marchese ein. »Vielleicht können wir Inspiration daraus schöpfen, gemeinsam, schließlich haben Sie uns bei unserem Tun gerade unterbrochen. Wenn Sie uns durch Ihre Erzählung nun einschließen und daran teilhaben lassen, dann …«
Es war der Moment, bei dem Calori dachte: Nein. Dieses Mal nicht. Sie war von Angiola zu Bellino geworden und nun dabei, zu Calori zu werden. Sie hatte sich jedes Mal neu erfunden, einen Teil ihres Wesens behalten, einen Teil abgestreift, einen Teil neu entdeckt. Noch wusste sie nicht, wie anders oder gleich La Calori demnächst dem der Kastratenwelt entfliehenden Bellino sein würde, aber offenbar zog sie als Calori jetzt schon andere Grenzen, was ihre Bereitschaft betraf, sich als Spielzeug von gelangweilten Aristokraten benutzen zu lassen.
»Er war so zuvorkommend«, entgegnete sie, »mich vor dem Unbill der Reise zu beschützen, als ich mich ihm anvertraute und ihm gestand, kein Kastrat zu sein, sondern eine Frau.«
In der plötzlichen Stille hätte man eine Nadel zu Boden fallen hören. Die Contessa schloss ihren halb geöffneten Mund, den Calori bei sich das Fischgesicht nannte, und Calori fühlte einen unangebrachten Anfall von Heiterkeit in sich aufsteigen. Sie biss sich auf die Lippen, um ihn zu ersticken. Der Marchese brachte immerhin ein »Oh« heraus und schaute stirnrunzelnd von ihr zu der Contessa und zurück.
»Eine Frau«, wiederholte die Contessa langsam.
»Eine Frau. Sie können sich gewiss vorstellen, Donna Giulia, was meine Verkleidung als Mann für mich bedeutete.«
Die Contessa warf ihren Fächer zu Boden und raffte sich aus ihrer liegenden Pose zu einer Sitzhaltung auf. »Allerdings«, sagte sie scharf. »Gian Gastone, Sie werden Ihre Kutsche in der nächsten Stunde bestimmt nicht benötigen, also können Sie diese jener … Dame zur Verfügung stellen, um sie zu den Stadttoren bringen zu lassen, damit sie Pesaro mit der nächsten Postkutsche verlassen kann.«
»Also, ich habe nichts gegen Frauen«, wandte der Marchese mit einem plumpen Augenzwinkern ein. »Aber ich«, gab die Contessa eisig zurück. »Ein Kastrat ist etwas Besonderes. Frauen sind alltäglich. Da könnte ich genauso gut mein Schoßhündchen nehmen.«
In Calori brannte es. Es mochte sein, dass sie sich in ein paar Stunden Vorwürfe machen würde, eine Chance verschenkt zu haben, Giacomo zu helfen. Aber auf ihn wartete nicht die Hinrichtung, und sie hatte gerade entdeckt, dass ihr ihre Selbstachtung etwas bedeutete.
»Das klingt nach einem sehr guten Einfall, Donna Giulia«, sagte Calori in ihrem süßesten Tonfall. »Hunde sind schließlich nicht wählerisch und nehmen schlichtweg alles, was man ihnen vorsetzt, ganz gleich, wer noch daran beteiligt ist. Frauen dagegen sind wählerischer und können sich immer daran erinnern, wie andere Frauen gefleht haben, ja auf die Knie gegangen sind und baten, man möge sie weiter verwöhnen.«
Die Contessa wurde kreideweiß. »Hinaus«, brüllte sie, »bevor ich Sie hinausprügeln lasse, Sie undankbarer Gossenauswurf!«
Calori erhob sich, machte absichtlich die Verbeugung eines Mannes und ging. Sie war versucht, zum Abschied eine Arie von Händel anzustimmen, aber das hätte am Ende doch noch ihre Verhaftung bedeutet, wenn die Contessa ihre Beziehungen spielen und die Obrigkeit wissen ließ, dass Calori unter falschem Namen reiste.
Als sie den Pförtner erreicht hatte, um ihr Gepäck abzuholen, hörte sie leichte Schritte hinter sich, drehte sich um und sah, dass ihr die Zofe Maria nachgelaufen war.
»Madonna«, rief Maria atemlos, »Madonna«, und Calori wusste nicht, ob das Mädchen die Mutter Gottes anrief oder sie damit höflich bat zu warten. »Die Herrin«, sagte Maria verlegen, »lässt ausrichten, wenn dem Conte jemals irgendwelche Lügengeschichten zu Ohren kämen, dann würde sie sich zu rächen wissen, und ein gewisser Abbate sei dann bestimmt nur der Anfang.«
Es war mehr als seltsam, eine Frau zu finden,
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