Verfuehrung
Mädchen aus dem Norden zu sein, mit aschblondem Haar und heller Haut; nicht hässlich, weil die Contessa nie hässliche Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung geduldet hätte, doch auch nicht so hübsch, dass sie mit ihrer Jugend ihre Herrin hätte überstrahlen können. Ein angenehm unauffälliges Gesicht, das errötete, als sie näher kam und Calori erkannte. Calori, die wusste, dass die Zofe an das Ereignis in der Kutsche denken musste, spürte ebenfalls Verlegenheit in sich aufsteigen, doch befahl sie sich, weiterhin souverän zu bleiben. Keine Schwäche zu zeigen, darauf kam es jetzt an. Für das, was sie vorhatte, musste sie souverän und gewinnend auftreten.
»Mein Fräulein«, sagte Calori, wissend, dass niemand sonst Dienstboten so anredete, verbeugte sich und küsste der Zofe Maria die Hand. Deren Gesicht wurde noch röter. Calori wiederholte die Geschichte von der Aufwartung, die sie auf ihrer Durchreise der Contessa machen wollte.
»Ich … ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist«, stammelte das Mädchen. »Nach Ostern wird die Herrin gewiss begeistert sein, doch jetzt …«
Bis nach Ostern konnte Giacomo nicht im Arrest warten, aber wenn Calori den wahren Grund für ihr Kommen und für die Eile offenbarte, dann würde man sie am Ende überhaupt nicht vorlassen, um ihre Bitte auszusprechen.
»Heute ist mein Geburtstag«, sagte sie, obwohl er gestern gewesen war. »Bitte. Was ist ein Geburtstag, wenn nicht, um sich einen bescheidenen Wunsch zu erfüllen?«
Maria biss sich auf die Lippen. »Folgen Sie mir«, sagte sie schließlich und führte Calori über den Innenhof zu einem Treppenaufgang voller Stuck, der kleine Ölgemälde und Puttenfiguren umrahmte. Nach zwei Stockwerken mündete die Treppe in eine kleine Galerie. »Warten Sie hier«, sagte Maria, klopfte und betrat den Raum, der hinter einer Tür aus dunklem Nussbaumholz und goldenem Gitterbesatz lag. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie wieder herauskam und Calori bedeutete, der Kastrat möge ihr durch das Vorzimmer zur Contessa folgen.
Der Grund für die Verzögerung schien Calori offensichtlich. Die Contessa, sehr pittoresk auf einer Chaiselongue drapiert, war nicht alleine. Zunächst hielt sie den Mann, der hinter der Chaiselongue stand, für den Conte und war nur überrascht, dass der Mann jünger war, als Calori geglaubt hatte. Deutlich jünger als die Contessa und ein wenig rot im Gesicht, trotz des Puders.
»Mein teurer Freund«, sagte die Contessa huldvoll, »darf ich Ihnen den Kastraten Bellino vorstellen? Bellino, dies ist Gian Gastone, Marchese del Colle.«
Also nicht der Conte, und nun wurde Calori klar, in welche Situation sie hineingeplatzt war. Unwillkürlich fragte sie sich, ob die Contessa je etwas anderes tat; dann erinnerte sie sich, wie sie selbst die letzten Tage und Nächte verbracht hatte.
»Donna Giulia, es tut mir in der Seele gut, Sie so gesund und glücklich vorzufinden«, sagte Calori und brachte ihre Geschichte von der Durchreise und ihrem Geburtstagswunsch zum dritten Mal vor.
»Oh, und Ihr Wunsch war, mich wiederzusehen? Nein, so etwas Reizendes«, gurrte die Contessa. »Ist das nicht charmant, Gian?«
»Äußerst charmant«, bestätigte der Marchese kühl.
»Da muss ich mir natürlich überlegen, wie ich Sie belohne. Etwas eisgekühlten Wein für den Anfang, denke ich. Maria, kümmere dich darum.«
»Ich würde gerne sagen, Ihr Antlitz wiederzusehen sei mir Belohnung genug, und unter allen anderen Umständen wäre dem auch so«, begann Calori, als die Zofe Maria den Raum verlassen hatte, »aber …«
»Nun, für einen Geburtstag haben Sie mehr als nur Blicke verdient, Sie Engel«, sagte die Contessa, schnipste mit den Fingern, und der Marchese reichte ihr einen Fächer. Als er sich zu ihr vorbeugte, konnte Calori rote Flecken auf seinem Nacken sehen. »Ich würde sogar sagen, etwas Abenteuerliches. Gian Gastone, mein Teurer, hatten Sie je etwas, eh, mit einem Kastraten zu tun?«
»Bisher nicht«, entgegnete der Marchese und klang nun nicht mehr kühl, sondern interessiert. Das hatte Calori gerade noch gefehlt.
»Bei der Ankunft hier in Pesaro«, sagte sie, »ist meinem Mitreisenden, einem gelehrten Abbate, ein kleines Unglück geschehen. Er hat leider seinen Pass verloren, und nun hält man ihn in der Festung fest. Da er auf der Reise sehr zuvorkommend zu mir war, würde ich mich freuen, wenn Sie, teuerste Donna Giulia, sein Los erleichtern könnten.«
Maria kehrte mit Wein
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