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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die Erinnerung an seine letzten Tage in Rom hin und her schob, desto wahrscheinlicher schien es ihm, dass der Kardinal auf seinen Brief hin so etwas sagen würde wie: »Der dumme Junge, schon wieder, soll er doch selbst sehen, wie er aus der Angelegenheit herauskommt. Ich habe mit ihm nichts mehr zu tun!«
    Dass die Soldaten der Feste Santa Maria entweder gar nicht mit ihm sprachen oder Witze über Abbates und schöne Jungen rissen, hob Giacomos Stimmung auch nicht gerade. Er sagte sich, dass dieselben Männer ihn ungeheuer beneiden würden, wenn sie wüssten, dass es sich um eine hinreißende Frau handelte, aber das half wenig, wenn es keine Möglichkeit gab, sich aus ihrer Gesellschaft zu entfernen. Er hatte immer noch seine Beredsamkeit, doch Soldaten schätzten es genauso wenig wie andere Menschen, wenn man sie einen überlegenen Verstand erkennen ließ, der für sie immer nach Arroganz aussah. Am ersten Abend wurde ihm so auch kein Essen gegeben, und in dem abgestandenen Wasser trieb der Dreck.
    Er fragte sich, ob Calori schon in Rimini angekommen war. Es war ihm ernst mit den Gründen gewesen, warum er sie nicht in Pesaro wissen wollte, aber jetzt musste er sich eingestehen, dass ein Teil von ihm sich doch wünschte, sie wäre hiergeblieben. Ein Teil, der sich fragte, ob sie nicht zu schnell eingewilligt hatte. In Gedanken schrieb er ihren Abschied so um, dass sie in Tränen aufgelöst war und von ihm fortgezerrt werden musste. Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Wem würde es nützen, wenn sie die Art Frau wäre, die irgendwo weinend herumsäße, verzweifelt und nicht in der Lage, ohne ihn einen Schritt zu tun? Ihm gewiss nicht.
    Aber vielleicht bereute sie mittlerweile, auf seine Herausforderung, den Kastraten Bellino zurückzulassen und wieder eine Frau zu werden, eingegangen zu sein. Vielleicht wurde ihr allmählich bewusst, dass er wirklich nichts an Geld, Stand oder Sicherheit besaß, das er ihr bieten konnte, und die plötzliche Verhaftung hatte ihr einen Geschmack davon verschafft, wie das Leben an seiner Seite auch sein konnte. Vielleicht hatte sie deswegen so eigenartig und zögerlich auf seinen Heiratsantrag reagiert und war insgeheim froh, eine Entschuldigung zu haben, wieder in ihr altes Leben zurückkehren zu können.
    Er hatte es ernst gemeint mit dem, was er gesagt hatte, und nicht nur, was seine Komplimente zu ihrem Aussehen betrafen. Nicht dass er jemals müde wurde, sie anzuschauen; er konnte sich nicht sattsehen an der glatten, pfirsichfarbenen Haut, den langen, biegsamen Beinen, ihren kleinen, festen Brüsten, die wunderbar in seine Hände passten, und ihren Brustwarzen, die nicht rosa, sondern rehbraun waren. Immer, wenn er aufgewacht war, hatte er sie betrachtet und den Anblick auf sich einwirken lassen. Es hatte ihn selig gemacht, sie ruhig schlafend neben sich liegen zu haben. Aber was ihn zu seinem Antrag getrieben hatte, war mehr. Sie konnte sein Leben mitgestalten, nicht nur begleiten, und das hatte es bei ihm vorher nie gegeben. In diesem Moment jedenfalls war er völlig davon überzeugt gewesen, dass er sich nichts mehr wünschte, als sie zu seiner Frau zu machen und mit ihr den Rest seines Lebens zu verbringen. Wie konnte er ihr besser beweisen, dass er nicht mehr die Absicht hatte, notfalls auf die Kirche zurückzugreifen, und dass er sie nicht wieder als Kastraten erleben wollte? Außerdem hatte es ihm bisher meist Glück gebracht, auf sein Herz zu hören, und sein Herz war das ihre.
    Gut, er war schon öfter verliebt gewesen. Aber die Vorstellung, eine Frau, in die er verliebt war, unbedingt heiraten zu müssen, hatte er schon sehr früh mit den zauberhaften Schwestern begraben, die ihn zu zweit die Liebe als Kunst entdecken ließen. Nein, die Worte über das Heiraten waren ihm nicht aus mangelnder Übung entschlüpft. Gewiss war es diesmal anders, was er empfand.
    Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er einmal einen Streit zwischen seiner Mutter und seiner Großmutter belauscht hatte, kurz, bevor man ihn zu Dottore Gozzi auf die Schule geschickt hatte.
    Warum gibst du nicht den Kindern einen neuen Vater und heiratest wieder, Zanetta, eh? Dann bräuchtest du nicht durch Europa ziehen. Schau, jetzt sind noch so viele reiche Männer hinter dir her, aber du wirst nicht jünger, und deine Kinder wollen versorgt sein.
    Die Ehe ist ein Gefängnis, Mama. Und Kinder sind ein noch schlimmeres. Ich will frei sein.
    Manchmal erstickte er fast vor Zorn bei dieser Erinnerung,

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