Verfuehrung
doch manchmal verstand er sie nur allzu gut, seine Mutter, die er nun viele Jahre nicht mehr gesehen hatte und die so wenig von ihm wusste, dass sie in ihrem letzten Brief vor zwei Jahren an Francesco geschrieben hatte, »der brave Giacomo hat bei der Weihe zum Priester bestimmt eine gute Figur abgegeben«. Sie hätte nie heiraten und Kinder haben dürfen, aber dann hätte es ihn nicht gegeben, und er genoss das Leben zu sehr, um sich wegen dieser Überzeugung aus der Welt zu wünschen. Selbst wenn die Welt derzeit aus Festungshaft bestand, und Grübeleien darüber, ob es nicht vielleicht ein Fehler gewesen war, sich in ein Mädchen zu vernarren, das die Bühne ebenso liebte, wie seine Mutter es tat.
Am nächsten Morgen gab es zu seiner großen Überraschung ein reichhaltiges Frühstück, und Giacomo entschied, dass sich Grübeleien mit leerem Magen nicht lohnten. Das Verhalten der Soldaten ihm gegenüber veränderte sich, als ihr Offizier abgelöst wurde, und der neue Vorgesetzte war ein Franzose, der gemeinsam mit dem Frühstück eintraf und sich freute, mit dem Gefangenen in seiner Muttersprache reden zu können. Er erwähnte, eine der hiesigen Adligen habe durch ihre Dienerschaft Botschaft gesandt, es sei ihr ein Vergnügen, den Abbate Casanova während seines Aufenthalts hier mit Mahlzeiten zu versorgen.
»Warum haben Sie denn nicht gleich erwähnt, dass Sie Donna Giulia kennen?«, fragte der Franzose mit einem vielsagenden Augenzwinkern. Giacomo hatte nicht die geringste Ahnung, wer Donna Giulia sein sollte, aber er hütete sich, das zu verraten. Der Blick des Franzosen war ohnehin eindeutig gewesen.
»Ein Kavalier genießt und schweigt«, wäre zu offensichtlich, also entschied er sich dafür, zu sagen: »Man sollte einer Dame niemals die Möglichkeit nehmen, einen Mann zu überraschen.«
»Es sei denn, sie läuft mit seiner Börse davon«, sagte der Franzose, klopfte ihm auf die Schultern und sagte, auf das Frühstück weisend: »Nougat und Weißbrot, kann es etwas Feineres geben? Hören Sie, was halten Sie davon, wenn Sie Ihren aufmerksamen Gastgeber an diesem Frühstück beteiligen? Wo ich so ehrlich bin, es Ihnen zu übergeben, anstatt es für mich zu behalten.«
Giacomo vermutete, dass die Soldaten ihm das Essen nur deswegen ausgehändigt hatten, weil diese Donna Giulia und ihre Familie einflussreich genug waren, um Ärger zu verursachen. Aber nur ein Narr hätte diese Wahrheit ausgesprochen.
»Wenn Sie mein einziger Gastgeber bleiben, statt mich weiterhin bei den anderen Soldaten schlafen zu lassen, ist es bestimmt genug für zwei; dann gerne«, entgegnete er und ließ den Satz vielsagend ausklingen. Giacomo wusste, dass auch die rangniedrigen Offiziere über eigene Quartiere verfügten, jedoch für ihr Essen selbst zu sorgen hatten. Der Franzose stutzte, dann lachte er und schlug Giacomo noch einmal auf den Rücken.
»Mein Freund, Sie könnten ein Pariser sein. Gut, Ihre Haft wird hiermit in mein Quartier verlegt. Ich hoffe doch«, fügte der Offizier warnend hinzu, »dass Sie die Situation nicht ausnutzen werden. Ein Fluchtversuch, und ich werde Ihnen beweisen, dass es noch Unangenehmeres gibt, als auf Stroh unter den gemeinen Soldaten zu schlafen.«
»Ich bin die Ehrlichkeit selbst, das versichere ich Ihnen. Außerdem würde ich mich dann um ein paar köstliche Tage mit feinster Verpflegung bringen, und wer tut das schon?«
»Wohl wahr, wohl wahr. Wie, sagten Sie noch einmal, haben Sie Ihren Pass verloren?«
Neben einem Bett, das im Zimmer des Offiziers aufgestellt wurde, erhielt Giacomo auch Stühle und einen Tisch. Diese Donna Giulia musste wirklich einflussreich sein. Da er sich sicher war, keine Donna Giulia zu kennen, fragte er sich, ob es vielleicht einer seiner alten Bekannten aus Venedig oder Rom gelungen war, unter neuem Namen einen Adligen aus Pesaro zu beschwatzen, sie zu heiraten. Wenn dem so war, dann würden Erkundigungen am Ende ein Geheimnis ihrer Vergangenheit lüften, und das wäre sowohl undankbar als auch dumm von ihm, also ließ er es sein. Andererseits konnte er sich aber nicht auf sein Glück oder die Gunst eines einzigen Offiziers verlassen. So ging er daran, die Soldaten freundlicher für sich zu stimmen.
»Kameraden, lasst uns die Zeit nutzen, ihr habt doch bestimmt ein Kartenspiel.«
Die Augen des Wachsoldaten, den er das fragte, flackerten argwöhnisch.
»Sind Sie am Ende ein Grieche?«
»Dann fiele es mir wahrhaft schwer, einen neuen Pass zu erhalten. Nein,
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