Verfuehrung
war und die in größerem oder kleinerem Umfang Gönner spielten, taten nicht mehr, als Konzerten und Opernaufführungen zu lauschen, dabei häufig zu spät zu kommen, wenn ihre Favoriten nicht zu Beginn schon sangen, und Blumen, Süßigkeiten und Schmuck an junge Figurantinnen zu senden. Im Gegenzug erwarteten sie im günstigsten Fall etwas Kokettieren und im ungünstigsten das, was die Contessa von ihr hatte haben wollen. Sehr gelegentlich waren sie sogar musikalisch genug, um Noten lesen zu können und sich eine Lieblingsarie zu wünschen. Doch sich tatsächlich für die Kleinarbeit eines Theaters zu interessieren, geschweige denn, sich daran selbst zu beteiligen, das war etwas Neues.
Als der Herzog nach einer Vorstellung in Rimini zu ihr gekommen war, hatte er ihr keine Komplimente gemacht. Er hatte sie mit seinen blassen Augen gemustert und abrupt verkündet: »Sie können tatsächlich singen. Nun, Don Sancho ist kein Narr, er weiß, dass ich eine Stümperin an meinem Theater nie dulden würde, ganz gleich, was ich ihm schulde. Aber werden Sie mir Ärger machen?«
Zuerst dachte sie, er spiele auf den anderen Grund an, warum Don Sancho sie empfohlen hatte, und bekam eine Gänsehaut. Was machte man in Neapel mit Spionen, egal, ob erfolgreichen oder nicht so glücklichen? Mutmaßlich waren ein paar Tage Festungshaft wie für Giacomo in Pesaro dafür noch zu milde. Einen frivolen Moment lang zog sie in Erwägung, etwas zu erwidern wie »Und ich dachte, es sei das Theater des Königs, oder hat Neapel schon wieder den Fürsten gewechselt?«, aber das war nichts als irrsinniges Gedankenspiel. Der Herzog, der in ihrer Gegenwart bisher nicht einmal gelächelt hatte, war gewiss niemand, mit dem man sich unterstehen konnte, Neckereien auszutauschen.
Dann fuhr der Herzog fort: »Ich habe schon einen Primo Uomo, und wenn der erfährt, dass Sie bisher als Kastrat auftraten, wird er befürchten, dass Sie auch seine Rollen übernehmen wollen, und allen Mitgliedern der Truppe die Hölle heißmachen. Wenn Sie auch nur im mindesten derartige Absichten hegen, dann wird er nie damit aufhören. Das ist mir ein zu hoher Preis für eine neue Sängerin. Ihr Vertrag gilt zunächst für ein Jahr, aber wenn es Ihnen nicht gelingt, im Frieden mit den anderen Sängern zu leben, dann schicke ich Sie schon nach einem Monat wieder fort, damit wir uns recht verstehen.«
»Ich verstehe vollkommen, Exzellenz«, antwortete sie so bescheiden wie möglich, doch an seiner frostigen Miene änderte sich nichts. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie einer Prüfung unterzogen wurde und bisher noch nicht die richtige Antwort gegeben hatte. Doch was war die richtige Antwort, wenn nicht eine Bestätigung guter Absichten?
Er musterte sie immer noch, ein Mann, wie zweimal zwischen alte Seiten eines Buches gepresst und ausgeblichen, den sie so wenig unterschätzen durfte wie Don Sancho, weil von ihm ihre Zukunft abhing. Sie dachte daran, was Melani über die vier Stunden mit ihm erzählt hatte und was es besagte, dass der Herzog nicht einfach alles Geschäftliche seinen Domestiken überließ. Dass er sich überhaupt für ein Theater einsetzte, also ständig den Dramen auf und hinter der Bühne ausgesetzt war, und dies offensichtlich auch noch freiwillig, gab ihr zu denken.
Der Herzog, ganz gleich, wie gemessen und farblos er wirkte, musste jegliche Form des Dramas lieben, und ein gewisses Maß an Temperament und Härte, entschied Calori. Wenn sie sich irrte, dann verspielte sie am Ende ihre Chance, aber ihre Zeit mit Giacomo hatte sie gelehrt, manchmal ins kalte Wasser zu springen, selbst auf die Gefahr hin, zu ertrinken.
»Was«, fragte sie also, »wenn ich in einer bestimmten Rolle besser bin als Ihr Primo Uomo? Ich verstehe, dass Sie ihn nicht verlieren wollen, doch Sie könnten ihm dann ja die Rolle der Prima Donna geben, damit sich kein Konflikt ergibt.«
Die Basiliskenaugen blinzelten einmal, zweimal. Sie verbat sich, eingeschüchtert zu wirken.
»Sie haben mich gehört und gesehen«, sagte sie und versuchte, souverän und voller Selbstvertrauen zu klingen, und nicht wie eine kleine Sängerin, die verzweifelt einen Vertrag wollte, sondern wie eine Königin der Bühne vor einem Herzog. »Wenn Sie Zweifel hätten, dass ich dergleichen vermag, dann würden Sie mir nie einen Vertrag angeboten haben. Schließlich haben Sie mir gerade versichert, dass Sie Don Sancho nicht genug verpflichtet sind, um seinetwegen Nichtskönner einzustellen.«
Der
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