Verfuehrung
und der Alptraum des Lebens mit ihr, sich seiner Mutter verdankte. Mit Calori die Welt zu erobern, was war das anderes als der Traum des Kindes Giacomo, der in Padua vergeblich darauf wartete, von seiner Mutter zu hören, dass sie ihn auf ihre nächste Reise mitnehmen würde? Der Gatte im Schatten zu sein, nun, er hatte es selbst gesagt: Das war das Schicksal seines Vaters gewesen. Wenn er überhaupt sein Vater gewesen war, jener Signore Casanova, der an Ohrentzündung starb, weil man stattdessen seine Zähne behandelte, als Giacomo acht Jahre alt war, und nicht der Patrizier Grimani, der Gönner des Theaters San Samuele, ganz, wie jener Herzog, den sie gerade erwähnt hatte, der Gönner des Theaters San Carlo war.
Die Vernunft war immer schon die größte Feindin des Herzens gewesen.
Sie legte ihre Hand auf seine Wange. »Wenn wir geteilt sind«, murmelte sie, »und unsere Eltern nicht sein wollen, dann, glaube ich, bleibt uns nur eines: etwas Neues zu finden. Nicht Ehe. Und nicht Abschied auf immer. Ich wäre keine gute Ehefrau, und du, denke ich, wärst wohl kein guter Gatte. Aber Freunde, Freunde haben nicht das Recht, zu erwarten, dass man ihnen sein Leben widmet, und nicht die Pflicht, nur füreinander da zu sein. Sie haben die Freude, einander immer wieder zu finden, wenn das Schicksal sie wieder zusammenführt. Lass uns Freunde sein.«
Mit einer leichten Kopfdrehung konnte er ihre Handfläche küssen, was ihm eine bessere Antwort als Worte zu sein schien. Dann aber ließ ihn der Impuls, der in seinem tiefsten Inneren saß, jener widersetzliche Teufel, der sich weigerte, je einem anderen das letzte Wort zu überlassen oder der Welt eine Tragödie zu gestatten, wenn es eine Komödie sein konnte, laut sagen: »Freunde hören hin und wieder aufeinander, nicht wahr?«
Calori, die sich gerade noch vorgelehnt hatte, um ihn auf den Mund zu küssen, hielt mitten in der Bewegung inne.
»Hin und wieder«, bestätigte sie in einer Mischung aus Neugier, Misstrauen und Zärtlichkeit und hob eine Augenbraue. Sie ahnte, dass er etwas Bestimmtes im Sinn hatte. Deswegen war es am Ende wirklich besser, wenn sie nicht ihr Leben miteinander verbrachten, sondern nur Bruchstücke davon. Wenn sie einander nach kurzer Zeit so gut durchschauten, was würde dann erst nach Jahren geschehen? Aber jetzt würde er sie dennoch überraschen.
»Nimm auf alle Fälle deinen Bruder mit nach Neapel«, sagte er und dachte, dass dieser Herzog, ganz gleich, ob er nur an schönen Stimmen interessiert war oder mehr wollte, es auf jeden Fall verdient hatte, sich mit dem eifersüchtigen Petronio herumzuärgern.
Ob sie seine Beweggründe erriet oder nicht, Calori stutzte, dann vollendete sie ihre Bewegung und küsste ihn lange und intensiv. Erst als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, murmelte sie: »Spioniere nicht für die Österreicher. Schon gar nicht in falschen Uniformen. Du könntest vor einem Exekutionskommando enden.«
Das überraschte ihn nicht weniger, als es sein Einwurf bei ihr getan hatte. War es einfach nur ihr geteiltes Bedürfnis, immer das letzte Wort zu behalten?
»Du hast mich noch gar nicht in meiner Uniform gesehen. Blau und Weiß sind eindeutig meine Farben«, gab er zurück, um sie noch einmal zum Lachen zu bringen, und wusste bereits, dass er zu ihr nach Neapel kommen würde.
IV
Finale
D as Wappen derer von Castropignano zeigte drei Türme und eine Mauer, die diese Türme umgab, mit einer einzigen Pforte. Es zierte den Verschlag der Kutsche des Herzogs und war auf die Polster gestickt.
Calori fragte sich, ob die Sänger von San Carlo das Wappen auch auf ihren Kostümen tragen sollten, aber sprach es nicht laut aus. Es war durchaus möglich, dass der Herzog den Scherz als ernsthaften Vorschlag interpretieren würde. Humor schien nicht seine stärkste Seite zu sein. Dafür war er für einen Adligen ausgesprochen gut im Verhandeln von Verträgen; das behauptete jedenfalls Melani, der ihr erzählt hatte, er habe geschlagene vier Stunden mit dem Herzog selbst, nicht einem seiner Lakaien, um ihren Vertrag gerungen, bis es ihm schließlich gelungen war, tausend Unzen – tausendfünfhundert Zechinen, ein Gehalt, das ihr traumhaft erschien – jährlich bei Unterkunft und Verpflegung sowie freier Reise für Calori herauszuschlagen.
Unter dem Begriff »Gönner« hatte Calori sich nie jemanden vorgestellt, der selbst etwas für ein Theater tat, was für ihn Arbeit bedeutete. Die Adligen, denen sie bisher begegnet
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