Verfuehrung
meines Lebens diesbezüglich der gesamten bartlosen Menschheit gegenüber misstrauisch gemacht, Calori.«
»Künstliche Bärte gibt es doch in jedem Karneval«, sagte sie abwesend, weil sie gerade überlegte, ob Don Sancho gelogen oder die Wahrheit gesagt hatte, als er ihr andeutete, die Contessa würde des Öfteren und schon im Mai Neapel wieder besuchen. Auf jeden Fall verdiente Maria, vor dieser Möglichkeit gewarnt zu werden, ehe sie Rimini verließ. Maria nahm es überraschend gefasst.
»Ich glaube, sie hat schon vergessen, dass es mich gab«, sagte sie. »Aber Sie nicht, Signorina. Also passen Sie lieber auf.«
»Wenn du lieber in Rimini bleiben willst …«
»Außer Ihnen hat mir hier niemand eine Stelle angeboten«, erklärte Maria nicht eben rührselig, aber vernünftig.
Maria saß neben ihr, während Petronio auf den Kutschbock verbannt worden war, als sie mit dem Herzog und seinen Domestiken die lange Reise nach Neapel antrat. Es war völlig anders, als mit Giacomo zu reisen. Sie machte ein paar Versuche, ein Gespräch zu beginnen, doch er teilte ihr mit, dass er sich lieber der Lektüre widme, und trotz des ständigen Gerüttels und Geschüttels der Landstraße hielt er diesen Entschluss durch. Natürlich stieg er nicht in Gasthäusern ab, sondern in den Palazzi anderer Aristokraten. Dort wurde Calori zunächst mit Maria in einem Zimmer untergebracht, doch bei der ersten Gelegenheit wurde ihr mitgeteilt, sie möge zur Verzierung des Abends für die Gastgeber singen, was dem Herzog genügend Komplimente einbrachte, um ihr bei der nächsten Rast ein eigenes Zimmer zuteilen zu lassen. Doch Versuche, auch nur ihre Hand zu berühren, ganz zu schweigen von Knien, Brüsten oder anderen Körperteilen, machte er nicht.
»Und bei mir auch nicht«, teilte Petronio ihr mit. »Falls du neugierig bist.«
»Vielleicht sind wir einfach nicht nach seinem Geschmack, oder er ist ein anständiger Mensch, der niemanden ausnutzen will«, gab sie zurück.
»Sprich für dich selbst. Anständige Menschen mit viel Macht und Geld sind wie Einhörner. Ich glaube erst an sie, wenn ich sie vor mir sehe, und selbst dann wäre mein erster Gedanke, dass ich besoffen sein muss.«
Am zweiten Reisetag wurde dem Herzog zwischendurch übel, und die Kutsche hielt gerade noch rechtzeitig, um ihm zu gestatten, sich am Straßenrand zu übergeben, was verhinderte, dass von nun an alles im Wageninneren nach Erbrochenem roch. Sein Lakai, der bisher nie gesprochen hatte, auch nicht mit Petronio oder Maria, hielt ihm den Kopf, reinigte ihm hinterher das Gesicht und erklärte finster: »Euer Gnaden hätten das Sorbet nicht essen sollen. Ich wusste, dass man Eurem Vetter nicht trauen kann.«
Das klang zwar genau wie etwas, das Don Sancho interessieren würde, doch Calori hatte trotzdem ihre Zweifel. In jedem Fall war es eine Gelegenheit, die Mauer frösteligen Schweigens zwischen ihr und dem Herzog zu brechen.
»Oder«, warf sie ungefragt ein, »Sie könnten aufhören, im Wagen zu lesen, Exzellenz. Es mag sein, dass Ihre Konstitution völlig anders als die meine ist, aber mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich dergleichen über längere Zeit versuche.«
Der Lakai ignorierte sie. Sein Herr dagegen schaute von seinem Würgen auf.
»Wenn ich das glauben soll«, entgegnete er langsam, »wüsste ich gerne, was eine Sängerin wohl zu lesen hätte. Ihresgleichen ist nicht gerade durch Bildung berühmt.«
»Libretti, Partituren und Kritiken«, sagte Calori, ohne mit der Wimper zu zucken. »Und glauben Sie mir, Noten sind in dem Dämmerlicht einer Kutsche noch schlechter auszumachen als Buchstaben.«
»Hm«, machte der Herzog, ließ sich noch einmal über das Kinn wischen, bevor er wieder in den Wagen stieg.
»Es stimmt«, sagte er nach einer Weile, »dass mir oft auf längeren Fahrten unwohl wird, wenn ich lese. Doch nicht minder ist gewiss, dass ich Feinde habe, denen es ein Vergnügen wäre, mich ins Jenseits zu befördern.«
Eine betroffene Aussage wie »Niemals!« oder »Das tut mir aber leid« erschien ihr dumm und heuchlerisch.
»Da ich ohne Euer Exzellenz nie meine Stelle am Theater San Carlo antreten kann, können Sie versichert sein, dass ich nicht zu diesen Menschen gehöre«, entgegnete sie daher lapidar.
»Der Gedanke ist mir auch gekommen«, sagte er sachlich. »Und nicht nur bei Ihnen. Auch deswegen schätze ich den engen Umgang mit Sängern. Sie sind alle von mir abhängig, und es geht ihnen mit mir so viel besser als ohne
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