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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Oper, Donna Giulia, fürchte ich. Die Oper. Manchmal reist man sehr weit … für eine schöne Stimme.«
    »Ich dachte, Sie beobachten in der Oper vor allem das Publikum?«
    »Eben. Das Publikum, das von einer wahrhaft einzigartigen Stimme angelockt wird, ist anders als das, das sich bei einem Alltagstirilieren langweilt.«
    »Oh, und Sie glauben also, in Neapel gibt es eine Stimme … und ein Publikum, das diese Reise wert ist?«, fragte die Contessa lauernd. Ihre Augen hatten sich verengt.
    »Ich glaube das nicht, ich weiß es.«
    Sehr leise fragte sie: »Tun Sie das wirklich?«
    »Sie sind auf dem Weg nach Neapel und werden diese Stimme hören«, antwortete er und fühlte sich wie bei einer Partie Pharo, wenn er sein Blatt aufdeckte. »Welch besseren Beweis für die Qualität des Publikums gibt es?«
    Ihre Mundwinkel zuckten, aber diesmal lachte sie nicht.
    »Vergessen Sie das nur nicht«, sagte sie, »falls es zu einem unerwarteten Schauspiel kommen sollte, bei dem Sie selbst Darsteller oder auch Publikum sein könnten.« Ihre Stimme wurde immer kühler. »Es sei denn, Sie haben … Schwierigkeiten mit Ihrer Darstellerpotenz.«
    In der Nacht, ehe sie Neapel erreichten, lieferte er ihr seine Darstellung. Es war ein eigenartiges Erlebnis; einerseits war die Contessa überaus erfahren, andererseits erinnerte sie ihn an die kleine Marina Lanti, die sich in seinem Bett vor allem mit Cecilia und mit Bellino hatte messen wollen. Wie ein junges eifersüchtiges Mädchen sagte auch die Contessa herausfordernd: »Gib es zu. Gib es zu. Ich bin besser. Ich bin die Beste.«
    Wo es an Liebe fehlt, ist unbedingter Gehorsam im Bett immer das Wesentliche, sagte er sich, was ausschloss, Anmut und Verzückung zu genießen, und so wollte er ihr gegenüber auch nur unbedingte Herrschaft. Darauf richtete sich sein ganzes Interesse, erst recht, als sie hören wollte:
    »Und ich bin besser als ein lächerlicher Missgriff der Natur, der sich in Verkleidungen gefällt. Sag es!«
    Von nun an ließ er sich jede Lüge, die sie hören wollte, durch ihre absolute Unterwerfung abkaufen. Sie wollte noch viele Lügen in dieser Nacht von ihm hören, und sie war dafür zu Dingen bereit, die jede am Verhungern befindliche Hure verweigert hätte.
    * * *
    Da es begonnen hatte zu regnen, wurden die Sänften und Kutschen der Gäste so nahe wie möglich an das große Portal im Innenhof des Palazzo herangeführt. Es nutzte nur begrenzt etwas. Regen und der allgegenwärtige neapolitanische Dreck vereinigten sich zu einer so zähen und für die Seidenschuhe der Gäste fatalen Mischung, dass man die schwarzbraunen Fußstapfen überall in der Galerie und auf den Treppen erkannte, bis sie sich endlich irgendwo auf dem Parkettboden der Salons verloren.
    »Wenn aus deinem Singen in dieser Stadt nichts wird«, sagte Petronio philosophisch, »können wir uns als Putzleute verdingen.«
    »Danke für das Vertrauen«, entgegnete Calori. Sie wollte es leichtherzig klingen lassen, genau, wie er ganz offenkundig gescherzt hatte, um sie aufzuheitern, aber ihre Stimme gehorchte ihr gerade nicht und klang schärfer, als sie wollte. Petronio schaute sie an. Er trug einen seiner beiden guten Überröcke und die neuen gelben Seidenhosen, dazu keine Perücke, anders als die meisten Herren und Lakaien an diesem Abend. Es betonte, wie gut er von Natur her aussah, aber da sie furchtbar nervös war, bildete sie sich ein, dass es genauso wie ihre eigenen Naturhaare unterstrich, dass sie beide nie mehr als Unterhaltung sein konnten, nicht Teil jener Gesellschaft sein würden, die sich heute Abend traf. Nur war das nicht Teil ihrer Inszenierung gewesen. Heute Abend stand auf ihrem Regiezettel: Hier bin ich, und so bin ich. Ich versuche nicht, euch allen nachzueifern. Verachtet mich oder bewundert mich, aber tut es für das, was ich bin.
    »Ich habe Vertrauen in dich«, sagte Petronio leise. »Das weißt du.«
    Sie drückte ihm die Hand, froh, dass er bei ihr war. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und mischte sich unter die Gäste. Eine etablierte Prima Donna hätte es sich wohl leisten können, zu spät zum Empfang des Herzogs zu erscheinen, aber so weit war sie noch nicht. Caffarelli dagegen ließ sich mit seinem Erscheinen Zeit, genauso wie die Contessa. Calori verbot sich, nach Giacomo Ausschau zu halten. Dafür fand sie bald ihren Gönner und Gastgeber, der Hof unter den Neuankömmlingen hielt und unter seinem Arm ein paar Notenblätter trug. Als er sie erblickte,

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