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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Neapolitaner haben ein Sprichwort: Neapel sehen und sterben. Vielleicht möchte ich Ihnen die Gelegenheit bieten, mich vor einem solch dramatischen Hintergrund und einem wirklichen Könner ins Jenseits befördern zu lassen, falls das immer noch Ihr Wunsch sein sollte.«
    Damit, hoffte er, hatte er sich wenigstens ein wenig Sicherheit verschafft, denn jeder, der sich für irgendwelche Schmach rächen wollte, war unberechenbar, und vor allem, wenn das vorgesehene Opfer so überhaupt keine Angst zeigte. Es war natürlich möglich, dass er die Contessa völlig falsch einschätzte. Wie so vieles in seinem Leben war auch dies ein Glücksspiel. Er liebte Glücksspiele.
    »Wenn man ziellos reist, kommt man selten dorthin, wohin man möchte«, sagte die Contessa sibyllinisch. Er verkniff sich die Bemerkung, dass sie nun klang wie sein ehemaliger Vormund und seine alten Lehrer, zumal nicht klar war, ob sie einen schönen Tod oder sich meinte.
    »Das kommt wie alles im Leben auf die Gesellschaft an, in der man sich befindet«, sagte er stattdessen, musterte sie so offen, wie sie ihn vorher gemustert hatte, und ließ deutlich werden, dass ihm gefiel, was er sah. Erneut lachte sie. Deutlich wärmer meinte sie: »Ist das eine Aufforderung? Und ich dachte, Sie wären vor kurzem noch ein Abbate gewesen.«
    Das hatte er ihr nicht erzählt, und es half nicht gerade, ihre Behauptung, seinen Namen nicht gekannt zu haben, glaubwürdiger zu machen. Doch im Gegensatz zu ihm und Calori musste jemand wie die Contessa keinen Preis dafür bezahlen, wenn man sie beim Lügen erwischte, also machte ihr das bestimmt nichts aus.
    »Sagen wir, es ist ein Angebot. Bis Neapel sind es noch ein paar Tage. Wer will sich langweilen, wenn sich das vermeiden lässt?«
    »In der Tat«, sagte sie und bedeutete einem Diener, man möge das Gepäck des Signore Casanova auf einer ihrer Kutschen unterbringen.

    Die Contessa war, so stellte sich heraus, nicht eben subtil, aber auch nicht zu unterschätzen. Sie wartete, bis die Kutsche sich weit von der nächsten Stadt entfernt hatte, ehe sie ihn nach seinem Geschmack in der Musik fragte. Als er ein paar Opern nannte, winkte sie ungeduldig ab.
    »Das meinte ich nicht.«
    »Nun, ich auch nicht, um ehrlich zu sein. Ich beobachte mindestens ebenso sehr die Besucher einer Oper wie das Geschehen auf der Bühne. Menschen hören nie auf, fesselnd zu sein, und im Zuschauerraum befinden sich nun einmal mehr davon.«
    »Ich meinte«, sagte sie mit einer Spur von Ungeduld, »bevorzugen Sie Sängerinnen oder Kastraten?«
    Das war eine offenkundige Aufforderung, Stellung zu beziehen und sich entweder zu Calori zu bekennen oder sie zu verraten. Giacomo hatte Entweder-oder-Ultimaten noch nie geschätzt, doch er hatte schon zu oft solche Situationen erlebt, und er fühlte sich mit der Kunst des Herumredens einfach wohl.
    »Meinen ersten Kastraten habe ich in Rom gehört. Wissen Sie, Contessa, wer in der alten Hauptstadt der Welt sein Glück zu machen berufen ist, der muss ein Chamäleon sein, dessen Haut in allen Farben der ihn umgebenden Luft zu schillern weiß. Und wer von uns wünscht sich nicht, sein Glück zu machen?«
    Es entging ihr absolut nicht, dass er einer direkten Antwort ausgewichen war.
    »Sie sehen sich also als Chamäleon?«
    »Die Luft, die mich gerade jetzt umgibt, ist so weiblich«, gab er zurück, »dass ich nicht anders kann, als mich als Mann zu fühlen.«
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Ist das so?«
    »Daran zu zweifeln hieße, an sich selbst zu zweifeln, Contessa, und Sie kommen mir nicht vor wie eine Dame mit Selbstzweifeln.«
    »Nun«, sagte sie, mittlerweile mehr schnurrend als bellend wie ein Spitz, »jede Frau hat gern … handgreifliche Beweise.«
    »Jeder Mann, der einer Schönheit wie Ihnen die Unbequemlichkeit einer Kutsche zumutet, wo Sie es verdienen, auf Seide gebettet zu werden, gibt nur handgreifliche Beweise seiner Geschmacklosigkeit«, entgegnete er, ohne zu zögern. Zwei feine Linien zogen sich über ihre Stirn, doch sie entgegnete nichts mehr und verstummte, sei es, weil sie sich an Bellinos Antwort in Ancona erinnerte oder überzeugt war, er habe recht.
    Es war nicht so, dass er davor zurückschreckte, mit ihr ins Bett zu gehen; sonst wäre er erst gar nicht zu ihr in die Kutsche gestiegen. Aber er wusste, dass er, wenn er ihr es zu leicht machte, gar nicht erst bis Neapel mitgenommen und im günstigsten Fall irgendwo am Wegrand zurückgelassen würde. Es kam darauf

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