Verfuehrung
Nachrichten brachte, die sie als unverschämt empfand.«
»Nun«, sagte Petronio zögernd, »sie war … ein wenig abgelenkt. Vielleicht lag es daran.«
»Abgelenkt?«
Petronio zog den gestohlenen Überrock aus und suchte mit uncharakteristischer Sorgfalt nach einem Ort, um ihn aufzuhängen.
»Sie, ähem, ist nicht alleine nach Neapel gereist.«
»Natürlich reist sie nicht alleine«, sagte Calori ungehalten. »Eine Frau wie sie hat immer einen kleinen Hofstaat um sich und wenigstens ein Dutzend Domestiken.«
»Und Mitreisende, die ihr wohl auf dem Weg begegnet sind und froh waren, nicht für den Rest der Strecke bezahlen zu müssen«, sagte Petronio. »Jedenfalls nehme ich an, dass dies sein Grund war, mit ihr zu kommen statt mit der Postkutsche. Ich wollte es dir eigentlich erst so spät wie möglich sagen, aber hol’s der Teufel, so hast du jedenfalls Zeit, dich etwas auf ihn vorzubereiten.«
»Petronio, du willst doch nicht etwa sagen …«
»Er ist hier. Der Venezianer. Dein Giacomo Casanova.«
Giacomo war der Contessa schon kurz hinter Bologna auf einer Poststation begegnet, und das nicht zufällig. Er hatte Grund, sich an Dialekt und Wappen von Pesaro zu erinnern, und als ihm beides in Form von zwei Kutschen und einer Schar Diener unter die Augen kam, brauchte er nur ein paar Erkundigungen einzuholen, bis er wusste, dass es sich um ebenjene Contessa handelte, von der unter den Soldaten in Pesaro so oft die Rede gewesen war. Es wäre möglich gewesen, ihr auszuweichen, aber erstens war er neugierig, zweites war die Frau laut ihrer Dienerschaft nach Neapel unterwegs, was alles Mögliche bedeuten konnte, einschließlich von Gefahren für Calori, und drittens, viertens, fünftens und sechstens war er neugierig.
Also richtete er es ein, ihr vor ihrer Weiterfahrt über den Weg zu laufen.
»Ich bin gekränkt«, sagte er, als man ihn zu ihr vorgelassen hatte. »In Pesaro war unsere Beziehung noch so innig, dass Sie einen Preis auf meinen Kopf aussetzten, und hier bin ich noch nicht einmal einen prügelnden Diener wert? Das ist genug, um einen Mann um seine Selbstachtung zu bringen, Gnädigste.«
Sie musterte ihn von oben bis unten. Er trug immer noch seine Phantasieuniform, obwohl er inzwischen dank des Abbate Grimani die reguläre venezianische hätte anlegen können. Aber das wäre eine Verschwendung von guter Seide gewesen, die ihn viel besser zur Geltung brachte, als es die Kleidung eines venezianischen Fähnrichs, mehr hatte der Abbate Grimani nicht ausgeben wollen, je getan hatte.
»Wenn ich versucht hätte, Sie umbringen zu lassen, dann wüsste ich das noch«, entgegnete die Contessa mit einem winzigen Lächeln. »Darf ich um Ihren Namen bitten, damit ich weiß, wer mich so bei Ihnen verleumdet hat?«
»Eine ganze Reihe von Soldaten, die vermutlich nichts Besseres zu tun hatten. Aber das Leben im Lager von Pesaro ist nun einmal nicht aufregend. Deswegen habe ich ja gerade beschlossen, mich am Soldatendasein zu versuchen. Es ist so erholsam, und als Zivilist wird man von denen gelegentlich seiner Freiheit beraubt. Giacomo Casanova, aus Venedig, zu Ihren Diensten.«
Die Frau hatte sich wirklich gut im Griff; wenn er nicht sehr genau hingeschaut hätte, wäre ihm das kurze Zusammenziehen ihrer Augenbrauen entgangen, und ihr Auflachen klang echt, nicht gekünstelt.
»Nun, es gibt schlimmere Gründe, um Soldat zu werden. Aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, warum ich Sie habe tot sehen wollen. Wo wir uns doch nie begegnet sind und ich auch noch nie von einem Giacomo Casanova aus Venedig gehört habe.«
Ich werde bestimmt nicht als Erster Caloris Namen erwähnen, dachte Giacomo.
»Ein Umstand, den wir schleunigst beheben müssen.«
»Meine Unkenntnis Ihres Namens betreffend oder meinen nicht existenten Wunsch, Sie tot zu sehen?«
Dumm war sie nicht, diese Contessa, und auf geistreiche Gespräche schien sie sich auch zu verstehen. Aber er wusste sehr wohl noch, was ihm Calori erzählt hatte und was der Spieler Bepe im Lager gesagt hatte.
»Es liegt nur an Ihnen, herauszufinden, was von beiden zutrifft. Wie ich hörte, ist Ihr Ziel Neapel. Nun, dorthin zieht es mich ebenfalls.«
Diesmal konnte sie ihre Emotion nicht verbergen. Ihre Stimme klang deutlich kühler, als sie fragte: »Haben Sie einen bestimmten Grund für diese Reise?«
Er hätte sie gerne dasselbe gefragt, doch ganz gewiss keine wahrheitsgemäße Antwort erhalten. Also meinte er: »Brauche ich einen? Nun, die
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