Verführung auf Burg Kells (German Edition)
Pater Andrew im Stillen hoffte, sie würde sich diesen Luxus versagen.
„Dies ist ein Teil des Gästetrakts, den wir für Königin Margaret bauten, als sie uns mit dem mittlerweile verstorbenen König vor dreizehn Jahren einen Besuch abstattete“, erklärte Pater Andrew, während er den Arm hob, um Alex vor dem niederen Türsturz zu warnen, dann zog er einen schweren Wollvorhang zurück, der das Schlafgemach vom Wohnraum trennte. „Der schwer kranke König Edward I. war auf dem Weg nach Carlisle und fühlte sich so elend, dass er auf einer Bahre transportiert werden musste. Er wollte eigentlich nur eine Nacht bei uns verbringen und blieb von September bis März des nächsten Jahres, und wir sahen uns gezwungen, umfassende Bauarbeiten vorzunehmen.“ Er wiegte bedächtig den Kopf in Gedanken an den ausgestandenen Tumult. „Das Kloster musste zweihundert Gäste mit Unterkünften und Nahrung versorgen. Wir waren gezwungen, ein neues Gästehaus zu bauen, ein eigenes Haus und eine Kapelle für den König. Erschwerend kam hinzu, dass Seine Majestät höchst zugempfindlich war. Es war ein ungeheurer Aufwand! Viele Soldaten seines Gefolges wurden in Zelten vor den Toren des Klosters untergebracht, aber hier waren Maurer und Zimmerleute Tag und Nacht beschäftigt, und wir mussten alles aus eigener Tasche bezahlen. Darunter leidet das Kloster noch heute. Andererseits hat der König uns damit eine große Ehre erwiesen“, fügte er eilig hinzu und rieb sich den Nasenrücken, „aber die klösterliche Ruhe war für lange Zeit empfindlich gestört. Wie dem auch sei …“, er lächelte Ebony aufmunternd zu, „… nun können wir Euch höchst komfortable Unterkünfte bieten. Und unsere Mönche würden sich freuen, Euch zu Ehren eine feierliche Messe zu lesen.“
Als Ebony allein war, um sich ein wenig zu erfrischen und auszuruhen, setzte sie sich auf den Pelzüberwurf des Baldachinbettes, an dessen Kopfende ein Kruzifix aus Holz an der Wand hing. Die weißen Bettvorhänge bauschten sich im Luftzug vom offenen Fenster, das Pater Andrew geöffnet hatte. Plötzlich wurde sie von einer schmerzlichen Sehnsucht nach ihrem Sohn befallen, nach seinem hellen Lachen, seiner quirligen Lebhaftigkeit, wenn er in ihren Armen zappelte. Sie trat ans Fenster, blickte wehmütig auf die blühende Frühlingswiese hinaus und stellte sich vor, wie Sam durch das hohe Gras hüpfte als ein tapferer Rittersmann auf seinem Streitross, der durch einen tiefen, dunklen Wald sprengte, um einen gefährlichen Drachen zu töten.
In ihre Tagträume drängte sich das Bild zweier Gestalten in der Ferne, die auf der Wiese herumtollten, einander fingen und sich wieder lösten, ähnlich, wie sie mit Sam spielte. Das Kind hielt der erwachsenen Gestalt etwas entgegen, wobei Ebony nicht erkennen konnte, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, dann folgte wieder eine übermütige Verfolgungsjagd, eine schnelle Umarmung, und erneut entwischte das Kind. Es dauerte eine Weile, bevor Ebony bewusst wurde, dass sie keine Trugbilder sah, sondern die Wirklichkeit. Nun erkannte sie auch in der großen Gestalt eine Frau, die mit einer typisch weiblichen Geste ihren verrutschten Schleier befestigte. Vermutlich eine Mutter mit ihrem Kind aus dem Dorf, denn auf dem Klostergelände gab es nur Mönche und Stiftsherren, und Alex’ kleiner Sohn saß vermutlich in einer Schreibstube und lernte unter Aufsicht eines Mönches lateinische Vokabeln.
Ein junger Klosterbruder brachte heißes Wasser in einem großen Tonkrug, hielt den Blick sittsam zu Boden gesenkt und wollte hastig den Rückzug antreten, als Ebony ihn ansprach. „Gibt es noch andere Übernachtungsgäste?“
„Nur zwei Stiftsherren, Mylady, auf dem Weg zu unserem Mutterhaus in Carlisle.“
„Und wem gehört die Wiese da draußen?“
Er richtete den Blick aus dem Fenster. „Das umliegende Land gehört dem Kloster.“ Eine ungewöhnliche Frage, noch dazu von einer Frau. Er zögerte, wollte den Rückzug antreten. „Ist das alles, Mylady?“
„Nein … wartet bitte.“ Sie trat wieder ans Fenster. „Sagt mir noch, wer die beiden Gestalten da draußen sind.“
Er kniff die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen. „Ach“, meinte er dann mit einem erleichterten Lächeln. „Das müssten Master Nicholas und Frau Marie sein. Sir Alex’ kleiner Sohn. Kein Wunder, dass er nirgends zu finden ist. Ich sage Sir Alex, wo er ist.“
„Bitte wartet“, entgegnete Ebony. „Ich möchte ihm gern selbst sagen,
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