Verführung auf Burg Kells (German Edition)
Tugenden vergessen.
Da Entschuldigungen von Männern so selten waren wie Dracheneier, nahm Ebony seine Worte der Reue mit wohlweislich verborgenem Erstaunen entgegen, nicht nur, weil sie so unerwartet kamen, sondern weil sein Zorn ihn dazu gebracht hatte, seine tiefen Gefühle für sie auszusprechen, womit er ihrem Rätselraten ein Ende bereitete. Seine Augen verrieten ihr sogar noch weit mehr, als er jede Einzelheit der neuen, vornehmen Ebony mit bewundernden Blicken verschlang. Sie sah hinreißend aus in ihrem frisch gewaschenen Gewand und dem geborgten, mit Pelz verbrämten Samtumhang. „Welche Verwandlung über Nacht“, raunte er ihr zu. „Hast du in Eselsmilch gebadet?“
Sie lächelte. „Die Mädchen ließen es sich nicht nehmen, mich fein herauszuputzen.“
Der Zufall wollte es, dass die Reisenden am Durchbruch des Hadrianwalls auf die zehn Soldaten aus Alex’Truppe stießen, die sich, nachdem die Gefangenen in New Castle abgeliefert worden waren, auf dem Rückweg nach Castle Kells befanden. Die Männer konnten kaum glauben, dass die vornehme Dame in Sir Alex’ Begleitung dieselbe Frau war, die noch vor kurzem fauchend wie eine Wildkatze mit ausgefahrenen Krallen ihr Kind verteidigt hatte.
Sie drückten ihre Bereitschaft aus, die Reisenden nach Lanercost zu begleiten, doch Alex lehnte das Ansinnen lachend ab. „Nein, Leute! Ihr reitet nach Castle Kells, nehmt ein Bad, schabt eure Bärte ab und wartet auf unsere Rückkehr. Bestellt Hugh meine besten Grüße und passt mir gut auf den jungen Lord auf.“
Ebony hielt den Blick sittsam auf ihre Finger gerichtet und schwieg wohlweislich, fragte sich aber, ob die Männer von der Existenz seines Sohnes wussten und sich den Grund ihres Besuches in Lanercost denken konnten. Gewiss schlossen die Männer untereinander Wetten ab, ob der kleine Somers mit seinem Vater zurück nach Galloway reiten würde, und Ebony war froh, erfahren zu haben, was sie im Kloster erwartete.
Der Weg führte die Reisegesellschaft über einen bewaldeten Hang ins Tal des Flusses Irthing. Auf halber Höhe bot sich ein erster Blick auf die rosafarbenen Sandsteinbauten der Abtei. Von einer mit Türmen bewehrten Mauer umgeben, glänzte das Kloster wie ein Juwel in der Sonne, eingebettet in sattes Grün. Aus dem Küchentrakt kräuselte sich blauer Rauch in den Himmel. Sie ritten am Ufer des Flusses entlang, der sich wie ein Silberband durch das Tal schlängelte, vorbei an Fischteichen, bestellten Feldern, kleinen, strohgedeckten Gehöften und blühenden Obstgärten.
Eine Reitergruppe war gerade von einem Jagdausflug heimgekehrt, von den Sätteln der Pferde hingen gebündelte Hasen und Fasane. Beim Anblick von Sir Alex und seiner Schar, die durch den hohen Torbogen am Pförtnerhaus in den Klosterhof ritten, winkte der Anführer der Jagdgesellschaft herüber, ritt ihnen entgegen und begrüßte die Ankömmlinge wie alte Freunde. Abt William of Southaik war ein hagerer, hoch gewachsener Mann mit buschigen Brauen und wehender weißer Haarmähne, die ihn umgab wie einen Heiligenschein, den ihm allerdings die Menschen, die ihn gut kannten, im Hinblick auf seinen Lebenswandel abgesprochen hätten. Abgesehen davon war er beliebt und großherzig, gastfreundlich und von sprühender Energie, und wenn er eher den Eindruck eines Landedelmannes erweckte als den eines gottesfürchtigen Klostervorstehers, so störte ihn das keineswegs. Ebony fasste augenblicklich Zutrauen zu ihm. Seine väterliche Güte wärmte ihr das Herz, eine Güte, die sie nie kennen gelernt hatte, und noch etwas fiel ihr an seinen wachen Augen auf, was sie allerdings nicht benennen konnte.
Sein neugieriger Blick verweilte eine Spur zu lange auf ihr, und der Name Moffat war ihm offenbar vertraut. Dann gab er Anweisung, für die Dame die besten Räume im Gästehaus vorbereiten zu lassen. Pater Andrew eilte herbei und führte die Besucher durch einen Arkadengang in einen zweiten Innenhof, den lang gestreckte, strohgedeckte Bauten an der gegenüberliegenden Längsseite begrenzten. Beim Betreten eines der von außen bescheiden wirkenden Häuser gelangte man in einen hellen Raum mit bunt verglasten Fenstern, beherrscht von einer gemauerten Feuerstelle mit einem Kaminvorsprung aus Stein. Die Wände waren mit Holz verkleidet, und nebenan gab es sogar ein Badehaus mit einem großen Holzzuber, den die Bediensteten für sie mit heißem Wasser füllen würden, falls sie den Wunsch hatte, ein Bad zu nehmen, obwohl sie den Eindruck gewann, dass
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