Verfuehrung auf Probe
klicke mich schnell durch die Anrufliste. Wie eine Hochleistungssekretärin. Die meisten Anrufe und SMSe sind von Monique und Jeanne. Ich soll mich melden. Das ist gut. Ungefährlich. Damit kann ich leben. Monique hat zwar vorhin am Telefon besorgt geklungen und nichts dergleichen angedeutet, aber ich würde nicht darauf wetten, dass sie mich weiterbeschäftigt. Es kann gut sein, dass sie mich direkt nach diesem Auftrag rausschmeißt. Und ich bin auch noch selber schuld. Wie konnte ich mich nur zu solchen Dummheiten hinreißen lassen? Klettere an einer Seine-Brücke rum und lasse mich dabei ausgerechnet von einem Fotografen erwischen.
Es wird immer schlimmer. Ich mag nicht mehr. Da ist der Anruf, vor dem ich mich am meisten fürchte. Anruf von Maman. Tränen schießen mir in die Augen. Ich kann sie nicht zurückhalten. Und da. Anruf von Angélique. Angélique ist meine Schwester. Ich heule wie ein Schlosshund. Und noch einer: Anruf von Josefine, eine meiner sträflich vernachlässigten Freundinnen. Ich hab’s mir gedacht. Monatelang ist Funkstille, aber wenn man es am wenigsten gebrauchen kann, schlagen sie alle in die Wunde rein. Der nächste Anruf ist von Docteur Bertrand. Häh? Was will mein Zahnarzt von mir? Egal. Da geh ich nicht mehr hin. Aber da: SMS von Gabriel. Ich habe es gewusst. Ganz Paris kennt jetzt mein Gesicht und meine Beine.
Tolles Foto. Wäre was für meine Ausstellung. Wir sehen uns heute Abend ;) Baiser, Gabriel
Wir sehen uns garantiert nicht. Gar kein Kuss, N. Die Nachricht denke ich nur.
Alle anderen Anrufe sind mehr oder weniger verschmerzbar, wie der von Docteur Bertrand. Ich werde meine Nummer wechseln, meine Identität ändern, nach Alaska auswandern.
„So schlimm?“, fragt Eric mitfühlend.
Er steht vor mir, drückt meine Knie auseinander und umarmt mich. Ich lasse es geschehen. Was habe ich noch zu verlieren? Außerdem gefällt es mir. Schließlich habe ich Irre mich auch noch in meinen verpennten Auftraggeber verknallt.
Nachdem ich ungefähr fünf Minuten wie ein Schlosshund an Erics Brust geheult habe, holt er ein flauschiges Handtuch aus dem Aufzug (ich kann noch immer nicht fassen, dass dort ständig welche liegen), tränkt es mit heißem Wasser und wäscht mir sanft das Gesicht.
Als ich wenigstens äußerlich halbwegs wieder hergestellt bin, kommt der nächste Schocker.
„Die von 1001 Diamonds kommen gleich.“
„Wer ist das?“, schniefe ich.
„Der Juwelier.“
Mich durchfahren eine Million Blitze. Das Collier, die Ohrringe, das Armband. Me-r-de. Sch-ei-ß-e. Der Schmuck liegt bei Gabriel, eingewickelt in das schwarze Kleid, in einem der Regale.
„Reg dich nicht wieder auf, Nicolette.“
Der hat gut reden. Ich habe gerade mal Schmuck im Wert von mehreren Tausend Euro im Atelier meines Lovers liegen lassen.
Ich reiße mein Handy ans Ohr.
Gabriel. Ich muss Gabriel anrufen.
Das Freizeichen ertönt.
Tut – tut – tut … Die Mailbox.
„Hallo Gabriel. Nicolette hier. Wenn du dein Handy abhörst, melde dich bitte SOFORT. Ich habe etwas sehr wichtiges ...“
„Hey, meine Schöne …“
Seit wann bin ich seine Schöne? „Gabriel, in einer halben Stunde bin ich bei dir. Ich habe etwas bei dir vergessen.“
„Meinst du das hübsche Kleid, in dem du in der vergangenen Nacht aus einem gewissen Club geflohen bist?“
„Du hast es gefunden?“
„Ich musste es nicht finden. Es liegt in meinem Atelier.“
„Hast du es angerührt?“ Bitte, lieber Gott, flehe ich, bitte mach, dass der Schmuck noch da ist!
„Wozu? Du hast es ins Regal gelegt. Ich bin heute Morgen um fünf nach Hause gefahren. Da war gerade die Straßenreinigung unterwegs.“
Die Straßenreinigung interessiert mich herzlich wenig. „Das heißt, das Kleid liegt noch da?“
„Wenn niemand in die Bude eingebrochen ist …“
„Mach mich nicht wahnsinnig, Gabriel! Ich muss das Kleid haben. Sofort.“ Gleich krieg ich einen Herzinfarkt. Mein Herz bummert bis zum Hals. Ich habe schon genug Probleme. So viele, dass ich gar nicht weiß, welches ich zuerst anpacken soll.
„Dann hol es dir doch einfach. Ich habe bei der alten Lady einen Ersatzschlüssel deponiert.“
„Bei Madame Vivouche?“
„ Oui. Ich rufe sie an und sage ihr, dass sie ihn dir geben soll. Nicolette, sei mir nicht böse, aber ich bin noch mitten in den Vorbereitungen für meine Ausstellung. Hier geht es drunter und drüber, mit dem Essen hat was nicht geklappt und ich muss noch eine Installation fertigstellen. Wir sehen
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