Verfuehrung auf Probe
ein Foto nicht vermeiden lässt und niemand da ist, hinter dem du abtauchen kannst: Sorge dafür, dass du nach unten guckst, die Augen schließt und möglichst viele Haare vor dein Gesicht hängst.
Ich strahle geradezu aus der Zeitung heraus. Wenn ich mein Gesicht ausschneiden würde, könnte ich es als Passfoto verwenden.
Mir ist schlecht. Richtig schlecht.
„Wasser“, japse ich, „Eric, ich brauche Wasser.“
Die Hand mit der Zeitung fällt nach unten, mit der anderen Hand halte ich mich am Aufzug fest.
Ich bin erledigt. Beruflich, privat, überhaupt. E – R – L – E – D – I – G – T.
Meine Mutter weiß Bescheid. Meine Schwester weiß es. Alle meine Tanten, Onkel wissen es. Und die Nachbarn. Die von meiner Mutter und die von meiner Schwester. Und die von meinen Tanten und Onkeln. Und meine eigenen. Die Professoren an der Uni. Die anderen Studenten. Meine Freunde, selbst die, bei denen ich mich seit Monaten nicht gemeldet habe. Madame Vivouche. Und Gabriel. Alle Welt liest PARIS JOUR.
Jetzt wissen es alle. Alle, alle alle.
Am Ende kommt immer alles raus.
Ich bin gesellschaftlich ruiniert.
Eric kommt mit einem Glas Wasser aus der Küche und mit dem Telefon am Ohr. „Bestens. Super. Ja. Ja, jetzt sofort. Perfekt. Danke.“
Was kann heute bestens, super, perfekt sein? Ich entreiße Eric , der seine Aufregung komplett auf mich abgewälzt hat, das Wasser und trinke es in einem Zug. „Mehr.“
„Immer langsam, Nicolette. Beruhige dich …“
„Beruhigen? Ich soll mich beruhigen? Wie zum Teufel soll ich mich bei dieser Nachrichtenlage beruhigen?“ Ich haue Eric die Zeitung auf die Brust. Und dann wird mir das ganze Ausmaß der Misere bewusst. Eric kennt meinen wahren Namen. Zum Teufel, er hat mich Nicolette genannt.
„ Woher hast du meinen Namen? Woher? Hast du mir deinen kahlköpfigen Höllenhund hinterhergejagt? Was hast du getan? Oh. Mann. Ich bin erledigt. Ist dir eigentlich klar, dass ich mich jetzt nirgendwo mehr blicken lassen kann! Meinen Job bin ich vermutlich auch los. Eine Begleiterin, die einmal auf irgendeiner Titelseite aufgetaucht ist, kann einpacken. Schluss, aus, Nikolaus. Woher weißt du meinen Namen? Wenn du ihn weißt, könnte ihn jeder kennen.“
Eric nimmt mir die Zeitung ab . „Jetzt kommst du erst mal mit in die Küche. Keine Widerrede.“
Ich schlage mit beiden Händen nach meinem großen, gut aussehenden Auftraggeber, der meinen wahren Namen kennt, doch er schnappt sich einfach meine Handgelenke, nimmt mich in den Arm und treibt mich in die Küche. „Wenn du weiter so herumzappelst, fessele ich dich.“
„Wie kannst du dich jetzt auch noch über mich lustig machen?!“
Während ich imaginäre Giftpfeile auf Eric abfeuere, hebt er mich hoch und setzt mich auf die Kochinsel. Der Edelstahl fühlt sich kalt an unter meinem Hintern.
„Wo sind eigentlich Louise und Pavel?“
„Sie haben frei.“
„Oh. Mann.“ Ich schlage die Hände vor mein Gesicht. Während ich mit Gabriel gevögelt habe, sind die Zeitungen mit dieser Schlagzeile durch die Druckerpressen gejagt. Ich muss dringend telefonieren. Mein Ausgehtäschchen, das Schlüssel-Dings.
„Suchst du deine Tasche?“ Eric geht um die Kochinsel herum. „Als ich heute Morgen in die Küche kam, lag sie hier. Sie war offen. Der Schlüssel lag daneben. Darum dachte ich, es sei etwas Schlimmes passiert. Ich habe bei deiner Chefin angerufen. Bitte, deine Tasche. Handy und Schlüssel liegen darin. Das Handy vibriert den ganzen Morgen schon.“
Ich entreiße Eric das Täschchen. Hat er mein Handy bewacht? Oder gar durchforstet?
„Ich habe dein Handy nicht angerührt.“
Kann er neuerdings Gedanken lesen? Ich hole das Handy aus der Tasche. Ach, du lieber Himmel. 84 Anrufe in Abwesenheit. 17 SMSe.
„ Du kennst meinen Namen, Eric. Woher? Hast du ihn aus meinem Handy?“ Das wäre eine Erklärung, mit der ich leben könnte, wenngleich sie mir natürlich nicht gefallen würde. Ich hasse es, wenn man in meinen Sachen rumwühlt. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so, aber mein Ex hat alles von mir kontrolliert. Er hat mein Handy sogar geortet. In dieser Hinsicht habe ich einiges durchgemacht. So etwas will ich nie, nie wieder erleben.
„Immer wenn das Gerät sich meldet, steht da: SMS für Nicolette.“
„Hast du ihn ehrlich daher?“
„Ich schwöre.“ Eric sieht mich an wie ein Schoßhündchen.
„Ich hoffe, dein Schwur ist was wert“, knurre ich dennoch. Auch kleine Hunde können beißen.
Ich
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