Verfuehrung auf Probe
nur im alleräußersten Notfall geflunkert. Inzwischen entwickele ich mich zur Lügenbaronin. Aber die Notfälle reißen aber auch nicht ab.
„ Die Geheimhaltung ist dann aber gehörig in die Hose gegangen“, stellt Madame spitzmündig fest. Dann reicht sie mir den Schlüssel von Gabriels Appartement. „Der arme Gabriel. Ich glaube, er macht sich Hoffnungen. Er ist so ein netter Kerl.“
„ Eben“, winke ich ab, „der kann jede haben. Der macht sich ganz bestimmt keine Hoffnungen. Aber ich muss los, Madame. Danke für den Schlüssel, ich bringe ihn gleich zurück.“
Ich bedanke mich bei Eric für seine freundliche Lüge, die mein Herz in ein Trommelorchester verwandelt hat, und bitte ihn im Hausflur zu warten, während ich den Schmuck aus Gabriels Appartement hole. Eric weiß zwar nicht, dass die Matratze und die Decken mir gehören, aber ich habe keine Ahnung ob das benutzte Kondom noch irgendwo herumliegt. Darauf habe ich nämlich heute Morgen nicht geachtet.
Ein ganzer Felsen fällt mir vom Herzen, als ich den Schmuck vor mir sehe, den ich in das Seidenkleid eingewickelt hatte. Nicht auszudenken, wenn die Diamanten verschwunden gewesen wären. Ich nehme das Kleid wie ein Schmucketui und verlasse Gabriels Atelier, in dem die einzige Unordnung mein Schlaflager ist.
„Eric?“ Ich strecke meinen Kopf über das Treppengeländer, ziehe ihn aber gleich wieder zurück, weil ein elektrisches Kribbeln meine Glieder durchfährt. Meine Höhenangst ist unglaublich. Wo ist der Kerl? Er wollte doch auf mich warten. „Eric?“
„Hier unten. Ich warte vor der Tür auf dich“, erklingt seine warme Stimme, die allerdings auch ganz schön kräftig werden kann. Das kommt wahrscheinlich von der Arbeit auf den Folter-Baustellen.
Ich gebe den Schlüssel bei Madame Vivouche ab, die mich ziemlich distanziert mustert und mir nicht einmal Salut sagt, sondern nur leise ihre Tür schließt. Ich glaube, sie ist zutiefst enttäuscht von mir. Wieder ein Problem. Ich seufze lautstark und verlasse dieses Haus, in dem ich ohnehin nicht mehr lange wohnen werde.
„Die Substanz ist gut“, strahlt Eric und hält mir die Autotür auf.
Häh ? Ich setze mich auf den Beifahrersitz. Bei der Aussicht auf die Höllenfahrt, die mich erwartet, sammelt sich schon jetzt neuer Schweiß in meinen Achselhöhlen.
„Hast du die Telefonnummer deines Vermieters?“ Der Bentley springt an und Eric ruckelt den Bordstein hinunter.
„Willst du ihm anbieten, die Appartements in Folterkammern umzubauen? Das brauchst du nicht. Schlag einfach mit dem Vorschlaghammer in den Heizkessel.“ Ich klemme mir das Kleid mit den Juwelen zwischen die Beine, weil ich beide Hände brauche, um mich festzuhalten. Auch meine Füße stehen schon wieder auf der imaginären Bremse.
„ Was hältst du eigentlich von mir?“
Mir wäre wesentlich wohler, wenn Eric nicht mich ansehen würde, sondern die Straße.
„Ich übernehme auch andere Bauaufträge.“
Ach was. Er baut nicht nur Folterkammern? Was sonst noch? Rennbahnen? „Brems, Eric, brems!“
„Warum bist du eigentlich so nervös? Es ist doch überhaupt nichts passiert. Ich fahre seit über zehn Jahren Auto und habe bisher nicht einen Unfall gebaut. Ein paar Beulen beim Parken, aber das machen sie in Paris alle. Entspann dich, Nicolette.“
Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass er mich jetzt dauernd mit meinem richtigen Namen anspricht. Es verwässert unser Verhältnis und ich habe nicht nur Angst, auf dieser Fahrt mein Leben zu verlieren. Was mache ich, wenn ich nicht damit umgehen kann, dass er mich Nicolette nennt? Er ist immer noch ein Auftraggeber. Monique erschlägt mich, wenn sie das erfährt. Anrufen, fährt es durch meinen Kopf. Monique, Jeanne, Maman und Angélique. Gleich nach der Ankunft auf der Ile Saint-Louis.
Eric rast wie die Sau.
„Wenn du weiter dieses Rennen fährst, kannst du mich gleich im Krankenhaus abliefern. Ich stehe kurz vor dem Infarkt.“ Aber wirklich. Ich bin klatschnass geschwitzt. Mir geht es auch ohne Erics Fahrkünste schon schlecht genug. Aber er rast ungerührt weiter. Ich gebe es auf. Auf der Karte, die Jeanne mir auf meinem letzten Geburtstag zusammen mit einem nachgemachten chinesischen Teeservice überreicht hat, stand, dass sich von Geburt an alles im Verfall befindet. Selbst ein Baby strebe seinem Ende zu. Eine neue Vase – so gut wie zerbrochen. Eine frisch gepflückte Birne – schon fast verfault. Wenn ich das kapiert hätte, hat Jeanne gesagt, könnte
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