Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Dachzimmer.
Sabrina starrte ihn mit großen blauen Augen an, ihr Gesicht weiß wie Marmor, mit dem Ausdruck eines scheuen Rehs und angespannt vor Schreck und Sorge, als sie an seine Seite eilte.
Daigh krümmte sich noch mehr unter den Magenkrämpfen, die diese neue, blitzartige Erinnerung begleiteten.
»Hat sie dich verletzt?«, fauchte Sabrina. »Dann mögen die Götter ihr helfen …« Diese starke, aufgebrachte Sabrina durchbrach die andere geisterhafte Version wie Sonne den Nebel und löschte sie mit der schwungvollen Energie der Lebenden aus.
»Das war mein Spruch«, sagte er und rieb sich mit dem Handrücken über den Mund. »Und du sagtest mal, ich bräuchte deine Heilkraft nicht.«
Sie strich ihm das Haar aus dem Gesicht und schnalzte missbilligend mit der Zunge, als sie seine fieberheiße Haut berührte. »Woher sollte ich wissen, dass du mit einer abscheulichen, Feuer speienden Gorgo in Konflikt geraten würdest?«
»Ich glaube, sie verwandeln einen in Stein.«
»Wer?«, fragte sie zerstreut, als sie schnell und geschickt Decken glatt strich, herumliegende Kleidungsstücke faltete und Daigh sanft in die Kissen zurückdrückte.
»Gorgonen. Drachen speien Feuer. Gorgonen verwandeln dich in Stein.« Schon jetzt spürte er, wie sich seine Muskeln entspannten, obwohl sein Verstand noch immer brannte von der vollen Kenntnis seiner Sünden.
Die Hände auf den Hüften, betrachtete sie ihn mit dem stirnrunzelnden, skeptischen Blick einer begabten Heilerin. »Was redest du da von Gorgonen? Was um Himmels willen hat sie dir angetan?«
Er schaute zum Fenster hinüber und dann zu Boden. Überallhin, nur nicht auf sie. »Miss Roseingrave hat fast all meine Erinnerungslücken gefüllt.«
Sabrina zog sich den einzigen Stuhl heran und setzte sich mit geübter Professionalität zu ihm ans Bett. Aber er war sich der glatten, warmen Haut unter diesem properen, zugeknöpften Äußeren, des süßen Geschmacks dieses Mundes und der Träume in diesem saphirblauen Blick trotz alledem nur allzu gut bewusst. Und am liebsten hätte er seine Pein herausgeschrien, die Welt auf sich herabgerissen und die Qual dieses neuen Exils ein für alle Mal ausgelöscht.
Sabrina knabberte wie ein Kind an einem Fingernagel. »Sie behauptete, sie würde Brendan töten, wenn sie ihn findet.« Ein Zittern schwang in ihrer Stimme mit. »Und nun, da du verletzt bist …«
»Miss Roseingrave gehört zu den Amhas-draoi , Sabrina.«
Sie schnappte entsetzt nach Luft, ihr Gesicht wurde kreidebleich, und ihre Brauen zogen sich zusammen.
Daigh drückte die Handballen auf die Augen. »Du hast es schon erraten, nicht? Sie will, dass ich ihr Brendan Douglas’ Kopf auf einem Silbertablett serviere. Oder ihr zumindest sage, wo er ist.«
»Deshalb hast du ständig gefragt, ob ich etwas von ihm gehört habe. Weil du vorhattest …«
»Ihn gegen einen schnellen, sauberen Tod zu tauschen. Ja.«
»So viel liegt dir daran zu sterben?«
Sie funkelte ihn böse an, als er die Augen öffnete und zu ihr aufblickte.
»Ich will frei sein«, erwiderte er fest. »In welcher Form, spielt keine Rolle.«
Für ein paar unerträglich lange Minuten sah sie ihn nur an, und als sie wieder das Wort ergriff, war ihre Stimme sanft, aber entschieden. »Was hat dich also in Bezug auf Brendan umgestimmt?«
»Wie kommst du darauf, dass ich es mir anders überlegt habe?«
»Sonst würdest du es mir nicht erzählen.«
Er schwang die Beine über den Rand des Bettes. Wieder drehte sich ihm der Magen um, aber wenigstens das Zimmer hatte aufgehört, sich um ihn zu drehen. »Vielleicht gehört das ja zu meinem schlauen Plan«, sagte er und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Dich glauben zu machen, ich wäre auf deiner Seite, während die einzige Seite, auf der ich bin, die meine ist.«
»Das glaube ich nicht. Dazu bist du zu offen. Täuschung und Hinterhältigkeit sind nicht deine Art. Du suchst die direkte Konfrontation mit deinen Feinden.«
Er straffte sich und warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Ist deine Einfühlungsgabe so groß, dass du meinen Charakter erkennen kannst?«
Ein leiser Trotz glomm in ihren Augen auf. »Es hat nichts mit Einfühlungsvermögen zu tun. Ich sehe dich so, wie du dich mir immer wieder gezeigt hast.« Sie beugte sich vor. »Ehrenhaft und prinzipientreu.« Sie war ihm so nahe, dass er die Sommersprossen auf ihrer Nase zählen konnte und in ihren blauen Augen zu ertrinken glaubte. »Mitfühlend«, fügte sie hinzu und berührte seine
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