Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
sondern sie sogar ganz im Gegenteil vor dem Leben gewarnt, das sie erwartete, wenn sie nicht mit Daigh über Brendan sprach.
Oder vielleicht musste sie auch aufhören, sich auf die Götter zu verlassen, weil sie alles andere als hilfreich waren.
Ein milchig trüber Himmel tauchte die Welt in monotones Grau, ließ die Kanten der Gebäude verschwimmen und die Männer und Frauen, die sich auf den Straßen aufhielten, bleich erscheinen. Selbst die Luft verdichtete er zu einem neblig feuchten Dunst aus Rauch und Regen.
Mit verschränkten Händen und wild pochendem Herzen stand Sabrina auf der anderen Straßenseite vor der Pension auf der Wood Street und blickte zu den leeren Fenstern auf. Hier musste er wohnen. Mithilfe ihrer magischen Kräfte und dank der geheimnisvollen Verbindung zu ihm hatte sie die Adresse herausgefunden. Doch was zum Teufel hatte sie hier zu suchen? Hatte sie den Verstand verloren? Sie hatte waghalsig sein wollen, aber dieses Unterfangen war zudem noch ausgesprochen töricht.
Die Tür öffnete sich, während Sabrina noch zögerte und über ihren nächsten Schritt nachdachte, und eine grimmig dreinblickende Frau trat aus dem Haus, die ebenso farblos war wie der verblasste Tag. Ihr Gesicht kam Sabrina irgendwie bekannt vor. Aber woher?
Die Frau rief jemandem im Haus über die Schulter etwas zu, was aber nicht zu verstehen war, da es im Lärm des morgendlichen Straßenverkehrs unterging. Als die Frau sich wieder umdrehte, schienen ihre Augen Sabrina zu durchbohren wie zwei Dolche.
Sie verließ den Bürgersteig und kam zu Sabrinas Straßenseite hinüber. Bei näherem Hinsehen wirkte ihre spröde Haltung zerbrechlicher, und ihre Bewegungen waren übervorsichtig, als wäre sie krank oder hätte Schmerzen. »Lady Sabrina Douglas, nicht?«
Sabrina begegnete dem arroganten, herablassenden Gebaren der Frau mit aristokratischer Haltung, so wacklig sie vielleicht auch war. »Sie sind mir gegenüber im Vorteil. Ich glaube nicht, dass wir schon miteinander bekannt gemacht wurden.«
»Ich bin Miss Helena Roseingrave und lernte Lord und Lady Kilronan im Frühjahr kennen.« Ein undefinierbares Gefühl glomm in ihren Augen auf. »Und ich hoffe, dass ich eines Tages auch Ihren Bruder Brendan kennenlerne.«
Warum hatte sie das gesagt? Als wüsste sie, warum Sabrina hier war. Als wäre sie ebenso sehr in diese Angelegenheit verstrickt wie alle anderen. Sabrina sträubten sich die Nackenhaare. »Nun, da werden Sie enttäuscht sein. Mein Bruder ist vor langer Zeit verstorben.«
Miss Roseingraves Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Es gibt Tod und Tod. Und wieder anderen Tod. Wie Ihnen sicherlich bewusst sein dürfte, Lady Sabrina. Ich denke, Ihnen sind sowohl die permanenten als auch die vorübergehenden Variationen wohlbekannt.«
Sabrina presste die Knie zusammen, damit sie nicht unter ihr wegknickten, und grub die Fingernägel in die Handflächen, um sie vom Gesicht dieses unsympathischen Frauenzimmers fernzuhalten. »So spannend diese Unterhaltung ist, ich fürchte, ich habe keine Zeit, sie zu verlängern. Doch falls Sie meinen Bruder ausgraben, grüßen Sie ihn von mir, ja?« Und damit beendete sie das Gespräch und schlenderte davon. Hocherhobenen Hauptes, die Augen aber voller Tränen.
Miss Roseingraves Blick bohrte sich in ihren Rücken wie ein Messer. »Bevor ich ihn für seine Verbrechen hinrichte, werde ich ihm Ihre Grüße ausrichten.«
Sabrina schluckte die in ihr aufsteigende Furcht hinunter und schüttelte sich, als könnte sie sich so von dem kalten Schweiß befreien, der ihre Haut bedeckte. Nur mit Mühe konnte sie das Schluchzen unterdrücken, das in ihrer Kehle saß, als sie halb über die Straße rannte, die Treppe hinaufstürmte und mit der Faust gegen die Tür schlug. Dann schlang sie die Arme um ihren Körper, um das Frösteln aufzuhalten, das Miss Roseingraves Worte in ihr hervorgerufen hatten.
Hoffentlich war Daigh zu Hause! Er musste einfach da sein!
Kapitel Neunzehn
S abrina. Hier. Jetzt. Sein Abstieg in die Hölle war komplett.
Daigh kniff die Augen zu. Wenn er sie wieder öffnete, würde sie fort sein. So musste es sein. Aber sie war nicht fort. Und zu allem Überfluss stand sie ihm auch noch in zwei Versionen vor Augen. Zwei sich überschneidende Bilder bestürmten sein Gehirn.
Das eine war sechshundert Jahre alt, das andere nur Sekunden.
Ein schwach erhelltes Arbeitszimmer eines Herrn der Mark mit besonderen Machtbefugnissen.
Ein verstaubtes, übel riechendes Dubliner
Weitere Kostenlose Bücher