Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
bleibt.«
»Sie sind ja irre. Ich würde Sie töten, wenn ich könnte«, stieß Kilronan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Und da Sie es nicht können …?«
»Halten Sie sich von meiner Familie fern, Lazarus! So weit wie möglich.« Kilronans Blick flackerte und wurde schwarz, die dunkle Macht des Unseelie in ihm war schon dicht an der Oberfläche. »Ich werde tun, was auch immer nötig ist, um sie zu beschützen.«
Daigh blickte mit ernster, wie versteinerter Miene zu seinem Gegner auf. »Wie Sie wünschen, Mylord.«
»Und falls Sie St. John vor mir finden?«
»Ja?«
»Dann töten Sie den elenden Schuft für mich.«
Daighs Mund verzog sich zu einem maliziösen Lächeln. »Darin sind wir einer Meinung, Sir.«
Die Postkutsche schwankte und ruckelte wie ein Schiff auf See. Die Fenster waren fest geschlossen und die vier Fahrgäste unter einem Berg von Reisedecken, schweren Mänteln, Umhängen und Schals begraben. Doch die eisige Zugluft drang durch jede Ritze, brachte Zähne zum Klappern und machte Finger taub.
Sabrina hatte es geschafft, die Hälfte des mitgenommenen Romans zu lesen und die zwei Zeitschriften voller fröhlicher Frühlingsmode durchzublättern, aber nun betrachtete sie ihre Mitreisenden unter halb gesenkten Lidern, um nicht aufdringlich zu wirken.
Ein Herr – von vielleicht Mitte fünfzig – mit dem lederartigen Gesicht eines Mannes, der viel Zeit im Freien verbracht hatte, schenkte ihr ein väterliches Lächeln.
Eine spindeldürre Frau in schäbiger Kleidung und mit einer mit schwarzen Bändern umwundenen Haube beäugte Sabrina und die anderen misstrauisch und drückte sich noch tiefer in die Ecke, um ihre Reisetasche zwischen sich und den vierten Passagier zu stellen – den einzigen Mitreisenden, der wie Sabrina vor zwei Tagen von der Sackville Street abgereist und nicht erst unterwegs zugestiegen war.
Die meiste Zeit hatte er geschlafen, den Hut in die Stirn gezogen, den Kragen hochgeschlagen, die Arme über der Brust verschränkt und die langen Beine vor sich gestreckt. Wach blieb er geradezu unheimlich still, und nur das schwache Schimmern seiner Augen war unter dem Rand seines Hutes zu sehen.
Sabrina hatte einmal mit ihm gesprochen, bei einer unangenehmen und beängstigenden Begegnung in Rathcormuck, als ein betrunkener Passagier auf sie zugetaumelt war, ihr seinen sauren Atem ins Gesicht gehaucht und nach ihren Brüsten gegrapscht hatte. In dem Moment hatte der Fremde sich von seinem Sitz erhoben, den Betrunkenen am Arm gepackt und ihm leise etwas zugeflüstert, bei dem die ohnehin schon kalte Luft zu gefrieren schien.
Der lüsterne Trinker hatte sich danach nicht mehr von seinem Platz gerührt und war an der nächsten Haltestelle ausgestiegen, als wären die Geister der Hölle hinter ihm her.
»Danke, Sir«, sagte sie schüchtern zu dem anderen Mann.
»Gefährlich dumm, allein zu reisen«, schnaubte er. »Weiß Ihre Familie von Ihrem Unternehmen?«
So viel dazu, höflich sein zu wollen. Sabrina versteifte sich vor Empörung. »Meine Familie geht Sie gar nichts an. Und ich bin sehr gut in der Lage, selbst auf mich aufzupassen.«
Wieder schnaubte er, schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches, aber offensichtlich Despektierliches.
Und das war das letzte Mal gewesen, dass sie mit dem rüden Mann gesprochen hatte. Sie wünschte nur, er würde aussteigen und sie allein weiterreisen lassen. Doch nach jedem Halt war er wieder da, streckte sich ihr gegenüber aus und verschlief die halbe Reise.
Sie nahm ein Taschentuch aus ihrem Retikül, um die Fensterscheibe abzuwischen, und starrte in den Schneeregen hinaus, während ihre Gedanken dem Ende dieser langen Fahrt entgegenrasten.
Zum ersten Mal erschien diese Reise ihr so deprimierend wie die unveränderliche Landschaft vor den Kutschenfenstern.
Die bandraoi hießen Sabrina freundlich willkommen und zogen sie hastig durch die Tore, vorbei an zusammenhockenden Familien und alten Männern und Frauen mit hohlen, eingesunkenen Gesichtern, die sich in Werkstätten und Scheunen niedergelassen hatten. Auch unter hastig aufgespannten Abdeckplanen lagerten sie, und ihre Kochfeuer flackerten und zischten in der feuchten Luft.
Sabrina hörte Husten, Gemurmel und weinende Babys – Geräusche der Ruhelosigkeit und Ungeduld.
»Wer sind diese Leute?«, fragte sie. »Woher kommen sie?«
Schwester Ainnir warf kaum einen Blick auf die vielen Menschen, als sie an ihnen vorbeihumpelte. » Andere , die hier Zuflucht
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