Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
suchen. Sie sind vor Gerüchten von Verfolgungen durch die Duinedon geflohen.«
»Aber die alten Leute? Die Kinder? Sie sind doch harmlos.«
Die Priesterin tat Sabrinas Einwand mit einer angewiderten Handbewegung ab. »Sagen Sie das den Duinedon! Sie betrachten jeden, der Magierblut in den Adern hat, als Brut des Teufels. Selbst ein Baby könnte ja heranwachsen und zu einer Bedrohung ihrer kostbaren Welt ohne Magie werden.«
Sabrina umklammerte ihre Reisetasche und war froh, die angespannte Atmosphäre des Hofes hinter sich zu lassen, als sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufzustieg. Aber die Bilder der verängstigten Gesichter verfolgten sie bis in die Stille ihres kleinen Zimmers.
Hatten ihr Vater und die Gruppe der Neun sich von solchen Szenen inspirieren lassen? War es so falsch von ihnen gewesen, eine Welt zu wollen, in der anders zu sein keine Verfolgung und Diskriminierung bedeutete? Mit ihren Methoden hatten sie natürlich eine Grenze überschritten, doch wenn Scheitern Tod bedeuten konnte, wurde diese Grenze möglicherweise verschwommener? Vielleicht war die Linie zwischen gerechtfertigtem Handeln und bösartiger Grausamkeit dann nicht mehr ganz so klar?
Mit klopfendem Herzen und trockenem Mund ließ Sabrina sich auf ihr Bett fallen. Die nervöse Energie, die sie während der tagelangen Reise erfüllt hatte, verließ sie in einem einzigen Seufzer der Erleichterung. Liebevoll blickte sie sich um. Derselbe entenförmige Riss in der Wand, derselbe schiefe Schrank. Selbst Teresas heißgeliebte Ausgabe von Die Kinder der Abtei lag noch am selben Platz wie immer.
Es war, als hätte Sabrina das Kloster nur für ein paar Stunden verlassen statt für ein paar Wochen.
Der Schlaf winkte, aber aus Gewohnheit packte sie vorher ihre Sachen aus und hängte ihre Kleider auf, deren kräftige Farben und dünne Stoffe so gar nicht zu der Kargheit der schmucklosen Wände und nackten Fußböden des Zimmers passten.
Ein Zettel lag zusammengefaltet ganz unten in ihrer Tasche.
Sie zog ihn heraus und las die wenigen Worte, die darauf geschrieben standen.
Morgen. Abenddämmerung. Vor den Toren.
PS: Falls du dir je wieder so etwas erlaubst, drehe ich dir den Hals um.
B.
Sabrina zerknüllte das Papier. Ihre Hand zitterte.
Brendan war hier. Er lebte und schimpfte mit ihr.
Zum ersten Mal seit dem furchtbaren Morgen, an dem sie Daigh den Rücken gekehrt hatte, lachte Sabrina.
Kapitel Einundzwanzig
K ommen Sie herein, Sabrina!« Ard-siúr winkte sie mit einer Handbewegung und einem Lächeln in ihr Arbeitszimmer. »Das ist eine unerwartete Rückkehr. Setzen Sie sich!«, sagte sie und scheuchte die Katze von dem Stuhl vor dem Schreibtisch. »Wir haben viel zu besprechen.«
Trotz des Lächelns und der freundlichen Worte der Priorin zitterte Sabrina innerlich vor banger Erwartung. Würde Ard-siúr sie zu Aidan zurückschicken? Würde sie Sabrinas krassen Ungehorsam als weiteren Beweis ihrer Untauglichkeit für die volle Profess als bandraoi -Priesterin ansehen? Würde sie Fragen stellen, die Sabrina nicht beantworten konnte, ohne ihre Naivität zu verraten? Würde der dumpfe Schmerz, der ihr die Brust zusammenkrampfte, je vergehen?
Ard-siúr setzte sich hinter den Schreibtisch, legte die Fingerspitzen unter dem Kinn aneinander und ließ ihren scharfsinnigen Blick schweigend auf ihrer Schülerin ruhen.
Sabrina war, als würde sie Schicht um Schicht entblättert, bis ihr keine Geheimnisse mehr blieben. Verlegen spielte sie mit einem losen Fädchen an ihrer Schürze, fuhr mit dem Finger über den Saum einer Tasche, rutschte auf dem unbequemen Stuhl unruhig hin und her und schaute sich scheinbar interessiert im Zimmer um, um nur ja nicht diesen ruhigen Augen zu begegnen, denen nichts verborgen blieb.
Alle Spuren des Einbruchs waren inzwischen beseitigt worden. Das Büro war wieder das gemütliche Arbeitszimmer mit den dicken Teppichen, den polierten Möbeln, den farbenfrohen Wandbehängen und der anheimelnden Wärme.
Sabrinas Blick glitt über Bilder von aufgescheuchten Hirschen und einem Ozean, den Schiffe mit gestreiften Segeln sich mit fischschwänzigen Seejungfrauen und Seehundmenschen teilten, die sich neben ihren abgelegten Fellen auf Felsen aalten. Gleich daneben hing ein Gobelin mit einer stilisierten Darstellung verschnörkelter gelber, grüner, blauer und violetter Blumen, deren Blütenblätter und Stängel alle mit dem gleichen schwarzen Faden umrandet waren. Nur eine auffallend leere Stelle, wo Ard-siúr
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