Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
»Nein, es ist schon gut. Wirklich. Danke!«
Der Anführer der Gruppe tippte an seinen breitkrempigen Hut und fuhr dann mit dem Zeigefinger über eine schmale weiße Narbe an seinem Kinn. »Na dann, Mylady … Aber lassen Sie es Simms wissen, falls es Ärger gibt.« Daigh bedachte er mit einem vernichtenden Blick. »Sieh dich vor, Junge! Ich hab schon andere deiner Art gesehen und bin mit ihnen umgegangen, wie ich es für richtig hielt.« In einer unmissverständlichen Geste zog er einen Finger über seinen Hals. »Es ist deine Gattung, die den Zorn der Duinedon auf uns herunterbringt. Weil ihr so tut, als würden eure Kräfte euch zu was Besserem machen.«
Daigh ließ Sabrinas Handgelenk los, um sich dieser neuen Herausforderung zu stellen. »Wir tun nicht nur so.« Ein roter Nebel waberte am Rand seines Gesichtsfeldes auf, und eine elektrisierende Empfindung sträubte ihm die Härchen an den Armen und am Nacken. Im vollen Bewusstsein der teuflischen magischen Energie in seinen Augen ließ er langsam den Blick über die Störenfriede gleiten.
Mit einem erschrockenen Fluch fuhren sie zurück und huschten davon wie geprügelte Hunde. Einzig ihr Anführer blickte sich noch einmal ahnungsvoll um.
»Sie haben nur versucht, mich zu beschützen«, sagte Sabrina.
Daigh schüttelte ihre Hand ab und drängte sich an ihr vorbei. »Ich weiß, Sabrina. Und genau das versuche ich auch.«
Sabrina zog den Umhang noch fester um sich und suchte aufmerksam das helle Band der Straße und die schon dunkler werdenden Waldflächen zu beiden Seiten davon ab. Die Sonne war bereits untergegangen, sodass nur noch ein orangefarbener Dunst und ein paar dünne rötliche Wolken den Horizont erhellten. Lange Schatten warfen Streifen auf den Boden und die Wände hinter ihr und vermischten sich mit dem Rauch der Feuer innerhalb der Mauern.
Eine Gestalt erschien auf der Anhöhe und blieb dort einige Minuten stehen, wie um zu entscheiden, ob sie weitergehen sollte.
Sie genau zu erkennen war unmöglich aus dieser Entfernung, aber es war eindeutig ein Mann. Ein hochgewachsener, schlanker Mann in einem offen stehenden Wintermantel und hohen Stiefeln.
Sabrina sprang auf und winkte, in der Hoffnung, ihn zu sich herabzulocken.
Er hob antwortend die Hand, doch statt sich ihr zu nähern, verschwand er wieder hinter der Hügelkuppe.
Und obwohl sie bis zur völligen Dunkelheit und dem späten Aufgehen des Mondes wartete, ließ der Mann sich nicht mehr sehen.
Leise schlüpfte sie durch das Tor hinein. In dem dunklen Umhang mit Kapuze war sie kaum mehr als ein etwas hellerer Schatten in der Nacht, und trotzdem erkannte Daigh sie sofort, ihre anmutigen, geschmeidigen Bewegungen, die Schlankheit ihres Körpers. Und als sie sich den Stallungen zuwandte, um ihn dort zu suchen, schimmerte ihr Gesicht milchig weiß im Schein des Mondes, und Tränen glitzerten auf ihren Wangen.
Er zog sich noch tiefer in die Dunkelheit zurück, und sie ging an ihm vorbei, ohne innezuhalten.
Mit wem hatte sie sich getroffen? Wer könnte sie mitten in der Nacht aus der Sicherheit des Klosters herauslocken?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Brendan Douglas.
Daighs Hände ballten sich zu Fäusten, als die Präsenz in ihm sich regte, um sich aus der Dunkelheit, wo er sie angekettet hatte, nach oben zu begeben. Er wehrte sich, doch die Präsenz war raffiniert genug geworden, um seine wenigen Barrieren zu umgehen. Ein gnadenloses, reptilartiges Lächeln schoss ihm durch den Kopf, bis es kaum noch zu ertragen war und er die Zähne zusammenbiss, um nicht aufzustöhnen.
Máelodor las seine Gedanken. Und feierte seinen Erfolg.
Wie eine schon fast heruntergebrannte Zündschnur lief Daighs Zeit ab.
Und der Kampf begann erst richtig.
Kapitel Vierundzwanzig
D as kleine Mädchen zupfte an Sabrinas Röcken und drückte ihr die Nachricht in die Hand, bevor es zu der Schar Kinder zurücklief, die Fangen spielten. Sabrina blickte sich um. War das Brendan in der Tarnung eines dünnbeinigen Bauern, der Säcke mit Saatgut von einem Karren ablud? Oder war er einer der Männer, die bei einem Würfelspiel zusammenhockten? Der Bote in den hohen, schmutzigen Stiefeln und der abgetragenen Jacke, der sich vor dem Regen in den Eingang zur Bibliothek geflüchtet hatte?
Sie entfaltete die Nachricht sorgfältig, obwohl das Herz ihr vor Aufregung die Brust zu sprengen drohte.
An der Kreuzung. Komm sofort!
B.
Wie sie immer gesagt hatte: Briefe verhießen meist nichts Gutes.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher