Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
trafen sich auf der Straße, fast so, als hätte er auf sie gewartet. Trotz seiner groben Kleidung, den abgetragenen, schmutzverkrusteten Stiefeln und dem ebenso derben Ledermantel, der sich über seinen breiten Schultern spannte und dessen Ärmel ihm nicht mal bis zu den Handgelenken reichten, trat er in selbstbewusster Haltung vor. Hocherhobenen Hauptes, mit arrogant gerecktem Kinn, einem gebieterischen Funkeln in den Augen und einem abgebrochenen Ast, den er wie achtlos in der Hand hielt.
»Solltest du allein hier draußen sein?«, fragte er und schlug mit dem Ast nach dem hohen Gras am Rand der Straße.
»Wir sind hier noch auf Ordensland.«
»Das waren wir vorher auch schon mal«, antwortete er und begann, sich ihren Schritten anzupassen. In dem unheilvollen, ruppigen Ärger, der die ohnehin schon geladene Atmosphäre noch viel angespannter machte, entdeckte Sabrina keine Spur mehr von dem Geliebten. Sein ganzes Verhalten strahlte nur mühsam unterdrückte Wildheit und unbändigen Zorn aus.
Sabrina blitzelte die Tränen fort. Sie hatte gewusst, dass dieser Tag sich näherte, und trotzdem tat es schrecklich weh.
Durch ein Törchen im Zaun betraten sie den Obstgarten und bahnten sich einen Weg durch eine von nackten Ästen und Zweigen überwachsene Allee. Hier und dort waren Teile der Klostermauern hinter einer Hügelfalte zu erkennen.
»Er ist verrückt, wenn er riskiert hierherzukommen«, knurrte er. »Will er gefasst werden?«
Sabrina drehte sich der Magen um, als sie Daigh einen entsetzten Blick zuwarf.
»Aye, Sabrina. Ich weiß, wen du hier treffen willst.« Er zog seinen Mantel noch fester um die Schultern. »Und Máelodor weiß es auch.«
»Nein!« Sie stolperte über eine Wurzel. »Du hast doch nicht etwa …«
Daigh packte sie am Arm. Seine Muskeln waren angespannt, sein Gesicht ganz starr vor Schmerz. »Er zieht mich zu sich zurück, und seine Macht ist weitaus größer als die meine.«
»Aber die Erinnerungen!«
»Sie genügen nicht, um Máelodors Präsenz in mir zu bekämpfen.«
Der Weg endete an einer hohen, dichten Hecke, durch die ein kleines Tor zur Straße und der Kreuzung dahinter führte.
Die Hand schon auf dem Riegel, blieb Sabrina stehen. »Was wirst du unternehmen, falls Brendan kommt?«
»Ihn warnen. Das ist alles, was ich tun kann.«
Ein Zweig knackte, und ein Fuchs huschte davon, gefolgt von dem jähen Flügelschlagen und Gekrächze Hunderter von Krähen, die sich in die Luft erhoben. Sabrina schlug das Herz bis zum Hals, doch Daigh neben ihr blieb völlig still, lauschte mit schmalen Augen und hielt kampfbereit den Ast erhoben.
Er strahlte eine animalische Wut aus, und der Schwefelgeruch, der von ihm ausging, drehte ihr den Magen um und schlug über ihr zusammen wie eine große Welle. Sie drohte Sabrina buchstäblich unter ihrem Gewicht zu zerbrechen. Keine Barrieren, die sie errichten konnte, waren stark genug, um Daigh aus ihrem Bewusstsein fernzuhalten. Die Verbindung zwischen ihnen war nicht zu brechen und sein Eindringen nicht aufzuhalten.
Magische Energie zerriss die Luft, eine Wand aus Flammen schlug zwischen ihnen hoch, und eine Druckwelle tödlicher Kampfmagie erschütterte die Erde.
Sabrina ließ die Tasche fallen und griff sich mit beiden Händen an den Kopf, als könnte sie ihn auf ihren Schultern festhalten, als zwei bösartige Schlangenaugen in ihrem Sichtfeld erschienen. Augen, deren Pupillen sich zu schmalen Schlitzen zusammenzogen und deren gelblich rote Iris von Feuer durchzogen war.
Sabrina schwankte und fiel mit einem Aufschrei auf die Knie. Daigh stand mit hochgezogenen Schultern und zitternd auf der anderen Straßenseite; der Ast lag vergessen auf dem Boden neben ihm.
Ein Paar glänzende Stiefel erschien in Sabrinas Blickfeld, und als sie den Kopf hob, schaute sie in die kalten blauen Augen von Gervase St. John.
»Wie ich sehe, haben Sie die Nachricht Ihres Bruders erhalten, Spätzchen.« Seine Worte rannen wie zähflüssiger, öliger Schleim an ihren Nerven entlang. Er blickte zu Daighs zitternder Gestalt hinüber. Eine lange Pause folgte, in der Sabrina einen Anflug freudiger Erwartung zu erkennen glaubte. »Und Sie haben einen Freund mitgebracht.«
Verwirrt und zitternd vor Ekel öffnete Daigh die Augen, die verklebt und verkrustet waren. Kalter Regen schlug ihm wie Nadelstiche ins Gesicht, und seine Kleider, die feucht und kalt an seiner Haut hafteten, verschlimmerten das Zittern noch.
Über ihm zogen dicke, dunkle Wolken am Himmel dahin,
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