Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
was irgendeinen Sinn ergab.«
»Das haben Sie mir vorenthalten«, sagte er in anklagendem Ton. »Was haben Sie noch erfahren?«
Fest entschlossen, mehr Zurückhaltung zu demonstrieren, tippte sie sich ans Kinn und ignorierte das schnelle Pochen ihres Herzens. »Sie erwähnten ein Tagebuch.«
Seine Brauen zogen sich zu einem Ausdruck tiefster Konzentration zusammen. »Ein Tagebuch? Was habe ich gesagt?«
»Sie fragten jemanden danach. Verlangten, dass er es Ihnen gibt. Hilft Ihnen das irgendwie weiter?«
Er schloss die Augen und atmete tief durch. Seine Bemühungen, das Rätsel zu entschlüsseln, das sie ihm aufgab, waren beinahe schon mit Händen greifbar. Als er die Augen wieder öffnete, ging eine solch starke Anspannung von ihm aus, dass sie die Luft zum Prickeln brachte wie ein herannahendes Gewitter. »Ich habe Empfindungen, Eindrücke, aber keine Erinnerungen. Weder an ein Tagebuch noch an sonst was. Mein Kopf ist völlig leer, was meine Vergangenheit betrifft.«
»Bis auf die Frau«, erinnerte ihn Sabrina. »Die Frau aus Ihrem Traum.«
Mit neuer Entschlossenheit blickte er sie aus schmalen Augen an. »Es war Ihr Gesicht. Ich muss Sie kennen. Ich kann mich nur nicht erinnern, woher. Aber Sie sind es, dessen bin ich mir ganz sicher.«
Das war ausgeschlossen. Sie wüsste es, wenn sie diesem umwerfenden Hünen von einem Mann, der magische Energie ausstrahlte wie ein Gewittersturm, schon einmal begegnet wäre. Männer wie er besuchten die bandraoi nicht. Und sie hatte sich in den letzten drei Jahren nie weiter von Glenlorgan entfernt als bis nach Cork.
»Die Leute stellen sich komische Dinge vor, wenn sie krank sind«, gab sie zu bedenken.
»Stellen sie sich auch Frauen vor, denen sie noch nie begegnet sind? Das halte ich nämlich nicht für möglich, Sabrina.« Ihr Name hörte sich von seinen Lippen wie ein Streicheln an.
Unzählige Schmetterlinge drohten in ihrem Magen aufzufliegen. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, strich sie die Schürze glatt und räusperte sich mit krankenschwesterlichem Ernst. »Ich gehe jetzt besser wieder an die Arbeit«, erklärte sie und tätschelte ihm die Schulter wie einem Kind, obwohl die männliche Gestalt unter ihren Fingern alles andere als kindlich und Sabrina überzeugt war, dass er ihr Zittern spürte. »Sie waren mehr tot als lebendig, als die Dorfbewohner Sie zu uns brachten. Es wird dauern, bis Sie Ihre Erinnerung zurückgewinnen, aber ich bin überzeugt, dass es so sein wird.«
Er blickte auf seine schwielige Handfläche herab, an der die Spuren alter Schnittwunden zu sehen waren. Dann schloss er die Hand zur Faust. »Sie haben meine Narben gesehen«, erwiderte er und zog die Schultern hoch, als wollte er einen Schlag abwenden. »Vielleicht wäre es besser, wenn ich mich nicht erinnere.«
»Ich habe einen Entschluss gefasst.« Ard-siúr hob eine Hand, bevor Schwester Brigh wieder Einwände erheben konnte. »Und der ist unumstößlich.«
Auf ihrem unauffälligen Platz hinter Schwester Ainnir presste Sabrina die Lippen zusammen und unterdrückte ein Lächeln. Sie war machtlos dagegen. Es war einfach zu schön mitzuerleben, wenn die zänkische alte Priesterin hin und wieder in ihre Schranken verwiesen wurde.
Schwester Ainnirs leise Stimme kommentierte Ard-siúrs Entschluss. »Wir können ihn nicht zum Bleiben zwingen, falls er lieber geht.«
»Nein, wir können ihn nicht zwingen, bei uns zu bleiben, Schwester Ainnir«, pflichtete Ard-siúr ihr bei. »Aber wir können ihm klarmachen, dass seine Verletzungen noch immer seinen Verstand beeinträchtigen. Und obwohl er das Gefühl haben mag, vollkommen wiederhergestellt zu sein, kann sein Körper ohne Vorwarnung wieder in Mitleidenschaft gezogen werden. Das könnte zu Schwindel, Erschöpfungszuständen und Kopfschmerz führen. Bis er sein Erinnerungsvermögen zurückgewinnt, wäre es besser für ihn, wenn er bliebe.«
»Aber seine fortgesetzte Gegenwart wirkt sich störend auf unseren Alltag aus«, ließ sich Schwester Anne vernehmen. »Schon jetzt gehen Gerüchte unter uns um. Er sei ein gesuchter Bandit, heißt es. Ein Schmuggler. Ein Mörder. Jede Geschichte ist noch haarsträubender als die vorangegangene.«
»Das alles würde mich nicht überraschen«, sagte Schwester Brigh naserümpfend. »Man braucht ihn doch nur anzusehen, um zu erkennen, dass er ein gefährlicher Bursche ist, der uns wahrscheinlich im Schlaf die Kehle durchschneiden wird. Kein anständiger Mann hat solche Narben.«
Das stimmte. Der
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