Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Stille zerriss – und genauso abrupt wieder verstummte.
»Abe?« Suchend ließ der Knochendürre den Blick über den Waldrand gleiten und fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum. »Kelly!«
Äste knackten. Jemand grunzte und atmete zischend aus, aber eine Antwort kam nicht.
Die verbliebenen Männer drängten sich zusammen wie eine Herde, die Gefahr spürte.
Der Schleimige zog Sabrina noch fester an sich und drückte ihr den kalten Pistolenlauf an den Nacken. »Komm raus da, oder die Schwester ist tot! Ruf ihn, Schwester! Sag ihm, dass ich’s ernst meine!«
Sabrina öffnete den Mund, doch außer einem Quieken kam nichts heraus. Sie schluckte und versuchte es erneut. »Komm … heraus! Bitte, Daigh!«
»Ja, komm heraus, Daigh«, höhnte der Bursche hinter ihr in einem Ton, der ihr den Magen umdrehte. »Bitte!«
»Wie ihr wollt!« Ein riesiger, hoch aufragender Schatten löste sich aus der Dunkelheit wie eine Kreatur aus dem tiefsten Unseelie -Abgrund. Augen wie Höllenfeuer in einem grimmigen Gesicht. Ein Körper, der von ungeheurer Magie pulsierte. Das war nicht Daigh. Diese … Gestalt war irgendeine fürchterlich verzerrte Version von ihm. Er beschritt den Waldweg nicht wie ein verwirrtes Schiffbruchopfer, sondern wie ein Krieger, der sein Handwerk verstand. Der es verstand und es genoss.
»Lass sie los!« In Daighs ruhigem Befehl lag erstaunlich viel Nachdruck. Und selbst unbewaffnet, wie er war, brodelte Gefahr in der Luft um ihn. »Oder folge deinem Freund!«
Für einen Moment galt die ganze Aufmerksamkeit der Männer Daigh, und Sabrina erkannte, dass sie keine bessere Chance bekommen würde. »Lauf, Jane!«, zischte sie ihrer Freundin zu. »Hol Hilfe!«
Jane stöhnte vor Angst, gehorchte jedoch und stürzte aus der Reichweite des fluchenden Schleimigen. Sie flitzte an Daigh vorbei, als wäre er der Teufel selbst. Niemand hielt sie auf. Aller Augen hingen an dem monströsen, finster dreinblickenden Goliath, der ihnen den Weg verstellte.
Die restlichen Banditen rückten zusammen, um dem Störenfried entgegenzutreten. Nur der Schleimige blieb zurück und hielt Sabrina vor sich wie einen Schild.
Daighs Blick glitt über die Gruppe, und als er an Sabrina hängen blieb, flackerte ein Anflug verlorenen Gefühls in seinen leeren Augen auf.
Urplötzlich schwankte und drehte sich die Welt, der Pfad verschwand unter Sabrinas Füßen, die kahlen Bäume verfärbten sich zu frühlingshaftem Weiß und Grün. Während sie mit großen Augen zusah, überlagerten ein pelzbesetzter Umhang und die silberne Klinge eines Schwerts Daighs grobe Leinen- und Lederkleidung. Sie blinzelte, als die Vision wieder verschwand und Daighs unbändiger Zorn so heiß und schrecklich gegen die Innenseite ihres Schädels schlug, dass es fast nicht zu ertragen war.
Sie verzog das Gesicht, als der Kopfschmerz ihr jetzt buchstäblich das Gehirn zusammenpresste und sie das Gefühl bekam, dass Daighs Zurechnungsfähigkeit – obwohl er die Situation ganz und gar unter Kontrolle zu haben schien – nur noch an einem seidenen Faden hing. Und dass er, so unwahrscheinlich das auch klang, offenbar bei ihr Rettung zu finden hoffte.
Die fremde, suchende Präsenz hämmerte schier unablässig gegen Daighs Gehirn. Etwas undefinierbar Böses kroch an seinen Nerven entlang, und seine ganze Sicht war plötzlich von einem grellen, pulsierenden Licht erfüllt. Wie eine Wand aus erstarrtem Feuer, hinter der alles in albtraumhaften Schatten lag.
Durch den Dunstschleier seines eigenen Wahnsinns spürte er die Bewegungen der Männer und hörte ein Knurren, das wie entfernter Donner war, als sie ihn abschätzten und ihren Angriff miteinander abstimmten. Er erlaubte ihnen, sich an ihm sattzusehen. Es würde ihnen ohnehin nichts nützen, auch wenn er auf die Frage, woher er das wusste, genauso wenig eine Antwort hatte wie auf so viele andere Fragen.
Auf irgendein unsichtbares Zeichen hin sprang ein Mann aus den Bäumen; ein Messer bohrte sich in Daighs Seite und traf ihn an den Rippen.
Fluchend packte er den Angreifer am Handgelenk. Knochen zerbrachen knirschend unter seinen Fingern. Der Aufschrei des Kerls zerriss Daighs letzte Barriere zwischen bewusstem Denken und animalischem Instinkt.
Eine aufgewühlte, endlose Leere verbog ihn wie ein Schwert auf dem Amboss eines Schmiedes, dessen Hammer in perfektem Einklang mit seinem Herzen schlug und ihn zu etwas völlig Unnatürlichem verformte. Zu etwas Unaufhaltsamem, das keine Rücksicht auf Schmerz, Furcht
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