Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
seines Hemdes und entblößte das blutige, zerfetzte Fleisch. Sabrina schluckte die Galle hinunter, die in ihrer Kehle aufstieg, und konzentrierte sich auf die Magie, die wie eine Flutwelle in ihr aufwallte, auf die Struktur, das Format und das Gewicht der Macht. Sie nutzte, was sie von Schwester Ainnir gelernt hatte, um ihren Fluss zu formen, sie zu verfeinern und zu skalpellartiger Schärfe zu vervollkommnen.
»Sabrina?«
Sie erwiderte Daighs schmerzgetrübten Blick mit einem Lächeln, in das sie erzwungene Zuversicht legte.
»Das ist nicht nötig«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Sprechen Sie nicht!«, bat sie beruhigend. »Es wird alles gut. Ich kann …«
Ein Schatten fiel über sie. Röcke raschelten wieder, und sie hörte schweres, schnelles Atmen.
Daighs Blick ging an ihr vorbei. »Sagen Sie es ihr! Sie verstehen.«
Sabrina warf einen verwirrten Blick über die Schulter. Ard-siúr und Schwester Ainnir standen hinter ihr. Beide runzelten die Stirn, und beide schienen große Angst zu haben.
»Er hat recht, Sabrina«, stimmte Ard-siúr tonlos zu. »Ihre Talente sind hier nicht erforderlich.«
»Aber …« Sabrina unterdrückte die aufsteigende Furcht und konzentrierte sich stattdessen auf das Blut. Das geronnene Blut, das schwarz und klebrig war. Ein Geruch nach Mord und gewaltsamem Tod stieg in übel riechenden Wellen davon auf.
Daigh erschauderte, seine Muskeln zogen sich krampfartig zusammen, sein Atem kam schnell und flach und angestrengt. Seine Pupillen waren erweitert, und seine Augen schienen nichts mehr wahrzunehmen.
Doch er hatte keine Wunden!
Sabrina sah nichts als frisch verheilte rosa Haut, die an zwei Stellen die harten Muskeln seines Bauchs und seiner breiten Brust verunzierte.
»Er ist …« Sie ballte so fest die Hände zu Fäusten, dass ihre Nägel sich in ihre Handflächen gruben. Es gelang ihr nicht, das Bild des Mannes abzuschütteln, der den Kampf genossen hatte, der wie berauscht gewesen war vom Chaos und nichts anderes mehr gekannt hatte als das Töten. »Das ergibt keinen Sinn. Er wurde angeschossen. Ich habe es selbst gesehen.« Sie blickte den beiden bandraoi prüfend ins Gesicht. »Warum? Wieso?«
»Das wäre eine Frage für Mr. MacLir.« Ard-siúrs Blick wich keinen Augenblick lang von dem Mann, der in seinem eigenen Blut zu ihren Füßen lag.
Er schüttelte den Kopf und sagte mit klappernden Zähnen und nicht weniger entsetzt als alle anderen: »Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«
Kapitel Sechs
E ine schnelle Heilung geringfügigerer Wunden habe ich schon beobachtet. Doch noch nie die von einer tödlichen Verwundung. Und auch noch niemals in einem solchen Ausmaß und so schnell.« Schwester Ainnir schüttelte den Kopf, als sie mit ihren langsamen arthritischen Schritten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, im Zimmer hin und her ging. »Ich würde sogar sagen, dass es unmöglich ist, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.«
»Es ist bedauerlich, dass Sie nicht die Einzige von uns waren, die es gesehen hat. Schon jetzt ist das Kloster von schaurigen Geschichten über unseren mysteriösen Gast erfüllt.« Ard-siúr verfolgte Schwester Ainnirs angestrengte Wanderung von ihrem Schreibtisch aus. Ihr Gesicht verriet Nachdenklichkeit und Sorge, während sie die dicke, schnurrende Katze streichelte.
Sabrina, die auf einem Stuhl in der Ecke hockte, brummte der Kopf von Fragen und Möglichkeiten. Doch nicht eine von ihnen war vernünftig, sondern alle aus dem Stoff, aus dem wilde, haarsträubende Fantasien bestanden.
War Daigh ein wahrer Magier? Das würde seine offensichtliche Unbesiegbarkeit erklären. Oder die zermürbende Undurchdringlichkeit seines Blickes und die Kraft, die in der Gestalt eines Titanen wohnte. Aber eine winzige Stimme leugnete hartnäckig diese Erklärung und bedrängte Sabrina, anderswo nach Antworten zu suchen. Es war die gleiche irritierende Stimme, die ihr in den dunklen Nachtstunden keine Ruhe ließ und sie warnte, dass Daighs Erscheinen im Konvent kein Zufall war. Er war zu einem bestimmten Zweck hierhergebracht worden. Und wenn sie nur die bizarre Verbindung enträtseln könnte, die zwischen ihnen bestand, würden all die anderen Antworten folgen wie bei einem Dominoeffekt.
»Also schließen wir uns Schwester Brighs strengem Urteil an und schicken ihn weg?«
»Das scheint der klügste Weg zu sein.«
Ard-siúrs und Schwester Ainnirs Hin-und-her-Überlegen war für Sabrina wie eine
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