Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
und unerschütterlich. Nur hatte kein Baum je solch wohlig prickelnde Empfindungen in ihrem tiefsten Innern ausgelöst oder sie wie ein naives kleines Schulmädchen erröten lassen.
An der Tür hielt Daigh inne und ließ Sabrina los, um noch einmal in das Arbeitszimmer zurückzukehren und die Kerze auszublasen. Für einen langen Moment blieb er dann im Dunkeln stehen und blickte sich mit steifen Schultern um.
»Daigh? Wir sollten gehen. Sie gehören nicht hierher.«
»Da haben Sie recht, Sabrina«, murmelte er. »Ich gehöre nicht hierher. Das ist das Einzige, was ich mit absoluter Überzeugung weiß.«
Sabrina drückte die kleine Flamme ihrer Kerze aus und schloss ihr Tagebuch, ohne auch nur eine der Fragen beantwortet zu haben, die ihr durch den Kopf huschten wie Mäuse durch einen voll gestopften Dachboden. Ihre Gedanken zu Papier zu bringen hatte das gewaltige Aufgebot an Rätseln höchstens noch vergrößert. Und mitten in jedem dieser Rätsel war Daigh, wie das Zentrum einer großen schwarzen Sturmwolke. Wer war er? Was für ein Ereignis in seiner Vergangenheit hatte die grausamen Narben an seinem Körper hinterlassen? Warum beharrte er darauf, sie zu kennen? Warum blitzten plötzlich Bilder eines anderen Daigh in voller Rüstung vor ihr auf? Und was hatte er in Ard-siúrs Büro gewollt? Hatte er die Wahrheit über die ihm dort angeblich erschienene Erinnerung gesagt? Was verbarg er? Und warum hatte sie das ungute Gefühl, dass kommende Ereignisse ihre Schatten vorauswarfen – und sie in seine Umlaufbahn zogen, ob sie wollte oder nicht?
»Jane?«, flüsterte Sabrina. »Bist du wach?«
Ein verdrossenes Murmeln erhob sich aus dem Dunkel. »Jetzt ja.«
»Darf ich dir eine Frage stellen?«
»Du hast mir bereits zwei gestellt. Drei sind das Äußerste mitten in der Nacht.«
»Hast du etwas Ungewöhnliches an Daigh MacLir bemerkt?«
»An diesem Mann ist alles ungewöhnlich. Darf ich jetzt weiterschlafen?«
»Nein. Hör zu! Seit er hier ist, habe ich das Gefühl, dass er irgendeine Bedeutung für mich hat. Und ich für ihn.«
Jane seufzte. Die Matratze quietschte, als sie sich umdrehte. »Er ist geradezu teuflisch gut aussehend und beobachtet dich mit einem sehr besitzergreifenden dunklen Blick. Hast du noch nie Verlangen verspürt?«
Sabrina bewegte sich unruhig unter ihren Decken. Ihr Körper wurde von Empfindungen ergriffen, die sie nicht benennen konnte. »Es ist mehr als das. Er durchbricht all meine Barrieren. Egal, was ich versuche, ich kann ihn nicht daran hindern. Und zweimal ist da auch schon mehr gewesen. Für einen kurzen Moment habe ich etwas gesehen. Eine Vision. Aber sie verschwand so schnell, dass ich dir nicht sagen könnte, was ich sah oder ob ich überhaupt tatsächlich etwas sah. Es war Daigh, doch er war es auch wieder nicht. Er war komisch angezogen. Als käme er aus einer anderen Zeit … einem anderen Zeitalter. Und heute Abend …«
»Also hast du mich geweckt, um mir zu erzählen, dass du vielleicht oder vielleicht auch nicht etwas oder nichts gesehen hast?«
»Nun ja, so gesagt …«
»Du bist müde, Sabrina. Du arbeitest zu viel und schläfst zu wenig. Kein Wunder, dass du an Halluzinationen leidest. Schlaf! Dann wirst du dich morgen früh besser fühlen.«
Die Götter liebten sie, die praktische, vernünftige Jane. »Und sein Beharren darauf, dass er mich zu kennen glaubt? Dass er mir schon mal begegnet ist?«
Von Jane kam ein wenig schmeichelhaftes Knurren und dann ein weiterer tiefer Seufzer. »Er wurde aus dem Ozean gezogen, den Körper voller Meerwasser und ohne Puls. Ich würde nichts von dem glauben, was er sagt.«
»Du denkst also, dass er sich irrt?«
»Bist du ihm vorher schon einmal begegnet?«
»Nein.«
»Hast du ihn je zu Gesicht bekommen?«
»Ich glaube nicht.«
»Na also! Schlaf jetzt! Wir müssen beide im Morgengrauen schon wieder aus den Federn. Gute Nacht, Sabrina!«
Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, lag Sabrina da und starrte zur Zimmerdecke auf. Ein leiser Ärger nagte an ihrem Bewusstsein, bevor ihr klar wurde, woher er kam. »Natürlich«, rief sie aus. »Seine Augen! Das war der Unterschied. Seine Augen waren grün, nicht schwarz.«
»Ob grün, schwarz oder getupft, gib jetzt endlich Ruhe und schlaf!«, stöhnte Jane.
Nun meldete sich auch Teresas mürrische Stimme vom letzten Bett der Reihe. »Ich werde froh sein, wenn Daigh MacLir verschwindet und wir alle wieder zur Normalität zurückkehren können.«
Sabrina schwieg und zwang
Weitere Kostenlose Bücher